Interview der Berliner Zeitung mit Andrea Ypsilanti zum Stand der Diskussion über die Agenda 2010.
Welche Vorschläge haben Sie, um die Finanzprobleme zu lösen?
Ypsilanti: Wir haben immer gesagt, dass die Agenda 2010 nicht der große Wurf, sondern nur ein erster Schritt ist. Danach muss es eine weiterführende Diskussion geben, weil bei nachhaltigen Reformen noch viel zu tun ist. Dazu diente das Treffen der Agenda-Kritiker in Frankfurt. Wer uns als Betonköpfe, Traditionalisten oder Blockierer bezeichnet, wird unserem Anliegen absolut nicht gerecht.
Würde eine stärkere Steuerbelastung für Vermögende ausreichen, damit Sie der Agenda zustimmen?
Ypsilanti: Der Landesverband Hessen hat die Vermögensteuer und eine höhere Steuer auf große Erbschaften immer wieder gefordert. Darauf bestehen wir nach wie vor. Es ist schön, wenn es in diese Richtung Bewegung gibt. Es bleiben aber noch die anderen Punkte, doch auch da tut sich etwas. Bis zum Parteitag wird die Agenda sich noch deutlich verändern.
Sind Garantien beim Kündigungsschutz und Krankengeld Knackpunkte für Ihre Zustimmung?
Ypsilanti: Das mache ich davon abhängig, wie das Gesamtpaket auf dem Sonderparteitag aussieht. Beim Kündigungsschutz gab es ja schon Bewegung: Die Höhe von Abfindungen für gekündigte Arbeitnehmer wird gesetzlich geregelt, und nach fünf Jahren wird die Neuregelung überprüft. Wenn das kein Einstieg in weiteren Abbau ist, wäre das eine Kompromisslinie.
Welche weiteren Kernforderungen bleiben aus Ihrer Sicht?
Ypsilanti: Vor allem darf die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere nicht wie geplant gekürzt werden. Da bin ich hart. Alle Experten bestätigen mir, dass die Vermittlung von über 55-Jährigen dramatisch schwierig ist. Die können wir nicht auf der Strecke lassen und in die Sozialhilfe abrutschen lassen: Wenn man Reformen machen will, muss man alle mitnehmen.
Die Parteilinke hat sich hier kompromissbereit gezeigt, wenn jedem ein Arbeitsplatz garantiert wird.
Ypsilanti: Das ist genau der Punkt. Wenn man zusichert, dass jeder Arbeitslose über 55 Jahre entweder einen Arbeitsplatz erhält oder auch nach 18 Monaten weiterhin Arbeitslosengeld bekommt, dann kann man darüber reden.
Die ostdeutsche SPD verlangt ein steuerfinanziertes Sonderprogramm für Arbeitslose in den neuen Ländern. Unterstützen Sie das?
Ypsilanti: Im Westen gibt es auch einige Regionen mit dramatisch hoher Arbeitsloigkeit, etwa Nordhessen. Trotzdem verstehe ich die Genossen im Osten, die sagen: Bei uns ist die Vermittlung noch schwerer.
Halten Sie also ein solches Sonderprogramm aus Steuermitteln für sinnvoll und machbar?
Ypsilanti: Wir brauchen unbedingt Investitionen. Wir haben eine viel zu niedrige Investitionsquote. Das zweite große Problem ist die fehlende Binnennachfrage. Deshalb muss die Bundesregierung alles vermeiden, was die Leute finanziell noch mehr belastet. Wir müssen für eine positive Konsumhaltung werben. Das geht am besten durch Investitionen direkt in den Kommunen, wo die Bürger am schnellsten sehen, dass sich etwas bewegt.
Plädieren Sie auch für ein Vorziehen der ohnehin geplanten Steuerreform mit Erleichterungen?
Ypsilanti: Ja, natürlich wäre das sinnvoll. Alles, was die Binnennachfrage ankurbelt, ist gut. Aber von einer Entlastung der Spitzenverdiener sollte die Regierung angesichts der Haushaltsprobleme unbedingt absehen. Ich bin auch skeptisch, ob Finanzminister Hans Eichel für ein Vorziehen der Steuerreform zu gewinnen sein wird. Ich glaube eher nicht.
Was passiert, wenn die Agenda auf dem Parteitag nicht so beschlossen wird, wie Sie und viele andere in der Partei das fordern? Soll dann ein Mitgliederentscheid her?
Ypsilanti: Ich mache mir darüber gar keine Sorgen, weil ich fest davon ausgehe, dass wir uns auf dem Parteitag am 1. Juni einigen werden. Die Partei ist vernünftig. Wir wollen eine sozialdemokratische Regierung mit einem sozialdemokratischen Kanzler. Niemand will den Kanzler gefährden.
Das Gespräch führte Gerold Büchner