„Koch ist der Hauptverantwortliche für dieses Desaster“

Das Interview führte der Frankfurter Korrespondet der "Welt", Peter Scherer. Hier der Wortlaut:

DIE WELT: In einer ersten wütenden Reaktion auf das Milliardensparprogramm hat Ihre Partei den Rücktritt von Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) gefordert. Haben Sie da nicht auf den Falschen angelegt? Schließlich war es nicht Weimar, sondern der Ministerpräsident, der ausdrücklich auf seine Richtlinienkompetenz gepocht und persönlich den Rotstift angesetzt hat.

Andrea Ypsilanti: Es ist sicher richtig, dass der Hauptverantwortliche für dieses Desaster Roland Koch heißt. Der Ministerpräsident ordnet alles seiner politischen Karriere unter, auch das Wohl des Landes. Jahrelang hat er das Geld mit vollen Händen ausgegeben, und jetzt muss er im parteiinternen Machtkampf beweisen, dass er auch sparen kann, brutalstmöglich, versteht sich. Aber natürlich versteht auch der Finanzminister sein Fach nicht. Er hat sich die Haushaltsplanung aus der Hand nehmen lassen und muss deshalb gehen.

DIE WELT: Es gab wahrlich schon geringere Anlässe, bei denen die Opposition einen Misstrauensantrag gegen den Regierungschef eingebracht hat.

Ypsilanti: Misstrauen im Volk genießt der Ministerpräsident nach diesem Rundumschlag bereits mit Sicherheit. Es hängt jetzt von der Konkretisierung der Kochschen Sparvorgaben durch die einzelnen Ministerien ab, wie unsere parlamentarische Antwort darauf ausfallen wird.

DIE WELT: Wenn Sie gestatten – eine persönliche Frage: Haben Sie sich eigentlich einen Tag nach der Kochschen Sparphilippika beim großen Sommerfest des hessischen Ministerpräsidenten auf Schloss Wilhelmshöhe in Kassel gut amüsiert? Glücklicherweise hat das Geld dafür ja noch gereicht.

Ypsilanti: Ich habe es vorgezogen zu arbeiten. In Berlin haben wir in meiner Partei über Zukunftsperspektiven diskutiert. Aber ich bin sicher, dass sich an diesem Abend eine ganze Menge Leute, die in Kassel waren, nicht amüsiert haben, nachdem sie zu allem Überfluss auch noch feststellen mussten, dass der Ministerpräsident junge Polizeibeamte als Kellner zu seinem Fest abgeordnet hatte. Es wurde maßlos übertrieben.

DIE WELT: Fehlte hier ebenso das politische Fingerspitzengefühl wie bei der Diätenerhöhung für die hessischen Landtagsabgeordneten, der auch Ihre Fraktion gemeinsam mit CDU und FDP zugestimmt hat?

Ypsilanti: Ich glaube wirklich, dass es derzeit keinen Grund für fröhliche Feste auf Staatskosten gibt. Von der Diätenerhöhung werden wir Abstand nehmen. Wenn alle sparen müssen, dann auch die Politiker.

DIE WELT: Bei allem Verständnis für oppositionelle Kritikrituale – gibt es denn wirklich angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage eine Alternative zur Sanierung der öffentlichen Finanzen?

Ypsilanti: Kochs Problem ist doch, dass er die notwendige Konsolidierung jahrelang versäumt hat. Was wir bundesweit zuallererst brauchen, ist eine Gemeindefinanzreform. Erst müssen die Kommunen in die Lage versetzt werden, wieder genug zu investieren und die öffentliche Infrastruktur zu erhalten. Interessant wird sein, wie sich die CDU im Bundesrat dazu verhält. Ministerpräsident Koch hat hier eine grandiose Wende vollzogen. Er will nicht mehr die Einbeziehung der Freiberufler, und das heißt weniger Gewerbesteuer. Bei einem weiteren Punkt lasse ich nicht locker: Die Neuregelung der Erbschaft- und Vermögensteuer muss kommen.

DIE WELT: In welchen Bereichen werden Sie Korrekturen fordern?

Ypsilanti: Über eine Arbeitszeitverlängerung kann man reden. Aber eine Arbeitszeitverlängerung mit gleichzeitiger Lohneinbuße halte ich für zu hart. Die Gewerkschaften hätten gerne mit dem Ministerpräsidenten über das Thema Arbeitszeit geredet. Aber Koch hat den Alleingang vorgezogen. Besonders aufpassen werden wir aber auf den sozialen Bereich. Einen Kahlschlag in der sozialen Infrastruktur darf es nicht geben. Es könnte dann nämlich sein, dass die Sparorgie letztlich teurer wird als der vermeintliche Einspareffekt.

DIE WELT: Roland Koch regiert bekanntlich nur mit einer Stimme Mehrheit. Glauben Sie angesichts der massiven Kritik, dass die "Operation sichere Zukunft" ohne wesentliche Korrekturen im Landtag verabschiedet wird?

Ypsilanti: Ich fürchte, das wird so sein. Roland Koch hat bisher selbst unter schwierigsten Bedingungen noch nie abweichende Stimmen geduldet. Aber der Druck der CDU-Abgeordneten vor Ort wird zweifellos enorm sein.

DIE WELT: In Ihrer Partei gibt es verfassungsmäßige Bedenken gegen Teile des Sparpakets. Werden Sie Verfassungsklage einreichen?

Ypsilanti: Wir prüfen das. Wir haben ja bereits eine Verfassungsklage eingereicht, weil wir der Auffassung sind, dass bereits der Nachtragsetat 2002 mit seiner Schuldenexplosion verfassungswidrig ist.

DIE WELT: Gestern hat Bundespräsident Rau seinen Verzicht auf eine weitere Amtsperiode bekannt gegeben. Wer sollte ihm nachfolgen. Vielleicht doch jetzt einmal eine Frau?

Ypsilanti: Ja, ganz ausdrücklich. Wir haben so viele herausragende Frauen mit Vorbildfunktion und Führungsqualitäten. Zum Beispiel Jutta Limbach, eine Top-Frau, die Deutschland bestens repräsentieren könnte.

DIE WELT: Der Bundeskanzler und sein Außenminister haben erklärt, bei der nächsten Bundestagswahl nochmals anzutreten. Sie wären also in guter Gesellschaft, wenn Sie ebenfalls heute schon erklärten, ich will Roland Koch bei der nächsten Landtagswahl als Spitzenkandidatin meiner Partei herausfordern.

Ypsilanti: Ich fordere Roland Koch immer und gerne heraus

DIE WELT: Also auch beim nächsten hessischen Urnengang?

Ypsilanti: Das steht jetzt nicht zur Debatte.