Hessen-Gipfel der SPD in Schlangenbad

„Herzlich willkommen in Schlangenbad auf dem 7. Hessengipfel der SPD Hessen.

Eines der wichtigsten Anliegen dieses Gipfels ist an diesen zwei Tagen möglichst einmal losgelöst vom politischen Tagesgeschäft mit Funktions- und Mandatsträgern unserer Partei aber aus anderen Regionen und anderen politischen Ebenen zum Gedankenaustausch zu kommen.

Es ist notwendig darüber zu reden und zu diskutieren, wie bundes-, landes- und kommunalpolitische Probleme und deren Lösung in anderen Landesteilen gesehen werden. Dem wollen wir auch heute genügend Raum geben.

Es ist auch ein Anliegen, dass wir uns mit Themen beschäftigen, die langfristig inhaltliche und strategische Diskussionen in der Partei erfordern. Ein solches Thema ist die Europapolitik, die immer noch nicht den Stellenwert in unserer Partei und in der Gesellschaft einnimmt, der ihr eigentlich im Hinblick auf Zukunftsgestaltung zustehen müsste.

Deshalb auch heute Abend unser Angebot zusammen mit unserem Spitzenkandidaten im nächsten Europawahlkampf

Udo Bullmann, mit unserem in der hessischen Partei hoch angesehenen Europapolitiker Willi Görlach, mit unserer nordhessischen Europaabgeordneten Barbara Weiler, mit unserem Neubürger Özan Ceyhun und mit Günther Verheugen, Mitglied der europäischen Kommission, über die Erweiterung der europäischen Union zu diskutieren.

Vorher – und damit uns der Gesprächsstoff nicht ausgeht – einige Einlassungen von mir zur aktuellen Politik. Denn schließlich leben wir in sehr bewegten Zeiten.

Wir müssen zur Zeit auf der Bundes- und Landesebene sowie auf der Ebene der Landkreise, Städte und Gemeinden Politik unter schwierigen Bedingungen gestalten. Die Stagnation des wirtschaftlichen Wachstums, die Massenarbeitslosigkeit, die dadurch hervorgerufene Steigerung der Ausgaben unsere Sozialsysteme sowie die fehlenden Einnahmen stellen alle politischen Ebenen vor große Herausforderungen.

In Folge dieser Problematik hat sich eine Diskussion über den Sozialstaat, über Verteilungsgerechtigkeit, über Steuern und Abgaben, über arm und reich entwickelt. Wie viel Sozialstaat können wir uns leisten? Welchen Sozialstaat wollen wir? Wie viel Eigenvorsorge, wie viel Privatisierung von gesellschaftlichen Risiken darf es geben? Es gibt heftige Auseinandersetzungen über die Frage wer diesen Sozialstaat bezahlt. Müssen, dürfen wir umverteilen? Welche Steuern sind gerecht?

Das ist auch eine Diskussion die seit Beginn dieses Jahres sehr heftig in der SPD geführt wird. Und an vielen Stellen haben wir keine endgültigen Antworten und auch keine endgültigen Rezepte. In manchen Fragen und es ist nichts ehrenrühriges das zuzugeben, sind wir uns auch innerhalb der Partei nicht wirklich einig. Das hat auch der Parteitag in Bochum, von dem ich gerade zurückkomme, gezeigt.

Aber eines war sehr klar. Es herrscht in der Sozialdemokratischen Partei über alle Strömungen hinweg Einigkeit, dass die SPD die Partei des sozialen Ausgleichs, der sozialen Gerechtigkeit, der Chancengleichheit, der Bildung als Grundlage der Chancengleichheit, der Freiheit und der Solidarität ist und bleiben muss.

„Das Wichtige tun“, war der Titel unter dem der Bochumer Parteitag stand. Ich glaube mit einiger Berechtigung sagen zu können, das die Delegierten, und ich sage das auch ausdrücklich für die hessische SPD, dazu beigetragen haben, dass auch das Richtige getan wird.

Wir haben auf dem Parteitag sehr wichtige Beschlüsse zur Tarifautonomie, zu den Themen Bildung, moderne Familienpolitik, soziale Sicherungssysteme und gerechte Steuern gefasst, die wir offensiv nach außen tragen können und die sehr deutlich machen, wo sich die SPD von den Oppositionsparteien unterscheidet.

Die Beschlüsse des Bundesparteitags gehen in die richtige Richtung. Mit den Vorschlägen zur Neuausrichtung der Politik kann es gelingen, Regierung und Partei auch aus ihrem Tief heraus zu holen. Jetzt heißt es in Regierung, Fraktion und Partei anpacken und das Richtige umsetzen!

Die solidarische Bürgerversicherung wurde auf dem Bundesparteitag beschlossen. Zukünftig sollen alle Personen und Einkommen in die Finanzierung der Krankenversicherung einbezogen werden. Die Beitragsbemessungsgrenze soll deutlich angehoben werden. Damit ist ein großer Durchbruch auch in der Programmdebatte der SPD gelungen. Die hessische SPD war Wegbereiter für diese wirklich wichtige Grundsatzentscheidung. An dieser Stelle einen riesigen Dank an Thomas Spies und Thorsten Schäfer Gümbel.

Die Debatte zur Tarifautonomie war von besonderer Bedeutung. Der Bundesparteitag hat sich eindeutig gegen den Versuch gewandt, die Tarifautonomie im Vermittlungsverfahren zur Steuerreform aufzuweichen. Der Angriff auf die Tarifautonomie von CDU/CSU und FDP wurde als unanständig zurück gewiesen. Gerhard Schröder hat eine eindeutige Erklärung abgegeben, dass die Tarifautonomie nicht angetastet wird.

Ein weiteres zentrales Thema auf dem Bundesparteitag war die Frage der Gerechtigkeit. Gerhard Schröder hat dazu in seiner Grundsatzrede auch das Verhalten von Unternehmen scharf kritisiert, die einerseits millionenschwere Subventionen kassieren und andererseits durch Wohnsitzverlagerung die Zahlung der Erbschaftssteuer umgehen wollen. Folgerichtig beschloss der Parteitag im zentralen Reformantrag die Beteiligung großer Vermögen an der Bildungsfinanzierung und eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. Damit wurden in der Gerechtigkeitsfrage klare Zeichen gesetzt, die jetzt in Regierungshandeln Eingang finden müssen.

Darüber hinaus beschloss der Parteitag eine eindeutige Unterstützung für die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage, die auch Kriterien für die Einführung definiert.

In der aktuellen Diskussion um die Einführung von Studiengebühren hat der Bundesparteitag ebenfalls eine klare Sprache gesprochen. Studiengebühren bedeuten den Abbau von Chancen- und Bildungsgerechtigkeit und werden nicht dazu führen das junge Menschen schneller, sondern eher gar nicht mehr studieren. Die große Mehrheit der Delegierten auf dem Bundesparteitag hat sich deshalb, zu Recht wie ich finde, dagegen ausgesprochen. Damit dürfte die Debatte, die einige wenige unmittelbar vor dem Parteitag angestoßen haben, beendet sein. Nicht abgeschlossen sein sollte jedoch die Diskussion um die Qualität des Studiums und die Studienbedingungen.

Wir haben als hessische SPD die Inhaltliche Ausrichtung in diesen Punkten maßgeblich mitbestimmt. Wir haben uns durchgesetzt auch gegen Widerstände. Deshalb können wir mit Selbstbewusstsein sagen: Die Partei hat gute und richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Wenn sie in diesem Sinne in Berlin jetzt umgesetzt werden und sie müssen so umgesetzt werden, können wir Vertrauen zurückgewinnen und dann geht es auch wieder voran.

Renate Schmidt hat die Delegierten begeistert mit einer Rede zu moderner Familienpolitik. Ich bin davon überzeugt, dass nur wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aufgrund unserer langjährigen Diskussion dieses Thema unverkrampft und modern besetzen können. Wir haben nämlich Familienpolitik immer verstanden als eine Politik die Männer, Frauen und Kindern ein selbstbestimmtes Leben garantieren muss. Also eine emanzipatorische Familienpolitik. Und nur so können wir auch die Diskussion führen, wenn seit kurzem Familienpolitik auch als Politik für mehr Kinder geführt wird. Den Kindern die beste Bildung, den Müttern und Vätern beides: Beruf und Familie. Nur waren wir in der Theorie auch schon immer weiter als in der Praxis. Das muss ich euch ja nicht erzählen.
Hier heißt es für uns voranzugehen, vor den Konservativen, die es immer noch nicht begriffen haben, dass Frauen nicht an den Herd gehören, wenn sie Kinder haben.

Hier können wir in der Familienpolitik und in der Bildungspolitik sehr viel von unseren europäischen Nachbarn lernen. Alle haben über Pisa geredet. Alle hätten begreifen können, dass Schulsysteme wie in den skandinavischen Ländern für die Kinder wunderbar sind und als Bildungseinrichtung zum Wohlstand des Landes beitragen.

Wo aber bleibt der Lerneffekt? Das geht viel zu langsam. Das kostet Geld. Das kostet viel Geld. Aber schon in der nahen Zukunft spart uns das Milliarden, wenn die Kinder gut gebildet sind. Und ich meine an dieser Stelle auch nicht nur Schul- oder Fachwissen. Wenn die gut ausgebildeten Mütter arbeiten können, weil es gute und genügend Betreuungseinrichtungen gibt und Geld in die sozialen Sicherungssysteme fließen.

Hier werden wir auch die Auseinandersetzung mit Koch und der hessischen CDU führen. In der Bildungspolitik befindet sich Hessen unter der CDU-Regierung im Rückwärtsgang. Alles was PISA uns eigentlich empfiehlt: frühe kindliche Bildung, langes gemeinsames lernen, Ganztagsschule, Förderung unterschiedlicher Fähigkeiten und Kompetenzen. Für all das ist unter der christdemokratischen Landesregierung kein Raum in den hessischen Schulen und gewollt ist es nicht wirklich. Die hessische SPD ist hier schon sehr weit und wir werden dieses Feld wieder besetzen.

Koch ist aber nicht nur in der Bildungspolitik unter Druck. Die verheerende Sparpolitik, der Kahlschlag im Sozialbereich, die Streichung von Investitionen ist eine dumme kurzsichtige Politik, die uns noch teuer zu stehen kommen wird.

Wir haben als Fraktion in den Beratungen des Etats 2004 die thematischen Schwerpunkte "Soziale Sicherheit", "Wachstum und Arbeit" und „Bildung“ gesetzt. Wir wollen damit den von Roland Koch geplanten sozialen Kahlschlag stoppen und Wachstum fördern, damit auch Hessen einen Beitrag zum beginnenden Wirtschaftsaufschwung leisten kann. Das größte Anliegen ist mir, ebenso wie der Fraktion, die Kürzungen von rund 30 Millionen Euro im Sozialetat rückgängig zu machen und wieder ein "Sozialbudget" bilden, damit die sozialen Einrichtungen eine kontinuierliche Förderung erhalten und längerfristig planen können. Einsparpotentiale gibt es an anderen Stellen zu genüge.

Die CDU hat während ihres Wahlkampfes vor allem mit der Unterrichtsgarantie geworben. Was daraus geworden ist kann man an den politischen Entscheidungen der Landesregierung sehen. Lehrerstellen werden gestrichen und Vertretungsmittel gekürzt. Ebenso gekürzt wurden die Gelder von Lernmitteln. Die SPD-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass diese Kürzungen zurückgenommen werden, ebenso wie die Kürzungen beim Hochschulpakt und die Einführungen von Studiengebühren.

Auch die Personalpolitik der hessischen Landesregierung lässt zu wünschen übrig. Wir als SPD-Fraktion sprechen uns eindeutig gegen die doppelte Belastung der Landesbediensteten durch Arbeitsverlängerung und Gehaltskürzungen aus.

Genossinnen und Genossen, wir sprechen uns auch eindeutig für Investitionen aus. Um zusätzliches, ökologisch verantwortbares Wirtschaftswachstum zu erreichen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen auch durch landespolitische Maßnahmen zu unterstützen, fordert die SPD-Fraktion ein Investitionsprogramm in Höhe von 120 Millionen Euro.

Die Regierung Koch hat kein Konzept für eine zukunftsfähige Politik in Hessen. Diese Regierung verspielt die Chancen, die Europa Hessen bietet. Schon bisher war keine stringente Europapolitik erkennbar. Das Streichprogramm setzt dem ganzen jetzt die Krone auf und ist der europapolitische Offenbarungseid dieser Regierung. Die Streichliste des Ministerpräsidenten führt gerade in den Bereichen zum Verlust von EU-Mitteln, in denen strategisches Umsteuern im Interesse des Bundeslandes von besonderer Bedeutung wäre.

Nur ein Beispiel von vielen. Im Bereich der Orientierungskurse zum beruflichen Wiedereinstieg von Frauen sollen insgesamt rund 1,4 Millionen Euro gekürzt werden. Durch diese Streichung gehen Hessen EU-Mittel in gleicher Höhe aus dem Europäischen Sozialfonds verloren. Eine erfolgreiche Förderstruktur mit Vermittlungsquoten bis zu 70% droht komplett zusammenzubrechen.

Da verwundert es auch nicht mehr, dass Hessen in der Förderung der internationalen Jugendarbeit den letzten Platz im Reigen der Bundesländer einnimmt. Gerade die persönliche Erfahrung im Ausland fördert die Sprach- und Kulturkompetenz der Jugendlichen. Wir müssen unseren Jugendlichen, die auf einen europäischen Arbeitsmarkt treffen werden, Europa eröffnen. Stattdessen hat Hessen die rote Laterne. Hier wird die Zukunft unserer Jugend, wird die Zukunft des Landes in Frage gestellt.

Ein letzter Punkt zur hessischen CDU, der durchaus dem heutigen Thema angemessen europäische Qualität hat. Es ist kein Zufall, dass der Israelische Außenminister nach dem ersten furchtbaren Anschlag in Istanbul auch die europäische Verantwortung thematisiert hat. Man muss diese These nicht in allen Punkten teilen. Man muss aber umgekehrt gerade in Deutschland – darauf achten, dass jeder Ansatz des Antisemitismus nicht nur kritisiert, sondern auch sofort unterbunden wird. Hier haben Roland Koch und die hessische CDU, aber übrigens auch Merkel, völlig versagt.

Antisemitische Reden und Provokationen müssen sofort geahndet werden. Dafür gibt es keine Entschuldigung und keine Bewährung. Und schon gar nicht aus Rücksicht auf vorgeblich national konservative Befindlichkeiten.

Zum Schluss ein paar Anmerkungen zum heutigen Thema Europa: Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sind die originäre europäische Kraft. Bereits 1925 im Heidelberger Programm forderten wir die Vereinigung der europäischen Kulturnationen. D.h. eben nicht nur wirtschaftlichen Austausch und Handel sondern auch geistige, intellektuelle, emanzipatorische Verständigung,

Die Ziele der europäischen Aufklärung, am klarsten formuliert im Postulat „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der französischen Revolution 1789 sind die Wurzeln des europäischen Sozialismus.

Um so mehr und um so wichtiger ist es die Organisation und die europäische Sozialdemokratie voranzubringen. Dazu brauchen wir sicherlich auch eine Wertediskussion mit den sozialdemokratischen europäischen Freunden. Und gerade im Hinblick auf die neuen Partner im Osten ist die europäische Sozialdemokratie von herausragender Bedeutung auf dem Weg zur Rückkehr zu Europa.

Hier haben die deutschen Sozialdemokraten eine Aufgabe. Sie ist spannend und wir freuen uns auf diese Diskussion.“