„Bürgerversicherung heißt, dass starke Schultern mehr tragen als schwache“

FAZ: Der SPD-Vorstand hat sich festgelegt: Ja zur Bürgerversicherung im Gesundheitswesen, aber kein Systemwechsel noch in dieser Legislaturperiode. Ist damit das Paradeprojekt gerade auch der hessischen SPD auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben worden?

Ypsilanti:Ganz und gar nicht. Erfreulich ist, dass der gesamte SPD-Vorstand sich zur solidarischen Bürgerversicherung bekennt. Damit hat er grundsätzlich gutgeheißen, dass alle in dieses System einbezahlen müssen und dass andere Einkommensarten als Löhne und Gehälter bei der Bemessung des Beitrags mitberechnet werden. Für uns gilt der Grundsatz: Stärkere Schultern müssen mehr tragen als Schwächere.

FAZ: Das alles aber erst nach 2006. Das Thema liegt jetzt offensichtlich auf der langen Bank.

Ypsilanti: Überhaupt nicht. Eine derart umwälzende Änderung im sozialen Sicherungssystem muss doch ausführlich diskutiert werden: in der Bevölkerung und in unserer Partei.

FAZ: Vor einem Gesetz steht ohnehin der von der Union dominierte Bundesrat.

Ypsilanti: Deswegen ist es ja sinnvoll, das Vorhaben mit der Bundestagswahl zur Abstimmung zu stellen. Dann kann jeder Bürger entscheiden, welchem Modell er den Vorzug gibt. Die Bürgerversicherung ist zweifellos ein Topthema der SPD, mit der sie möglicherweise die Wahl gewinnen kann.

FAZ: Das Neue an ihr ist, dass Kapitaleinkünfte bei der Bemessung des Krankenkassenbeitrags einberechnet werden. Dazu passt aber nicht, dass die SPD auf die Anrechnung von Mieten und Pachten verzichten will.

Ypsilanti: Derzeit werden über Mieten und Pachten wegen der Abschreibungsmöglichkeiten eher Negativeinkommen erzielt. Es würde außerdem viel zu viel Bürokratie erfordern, diese Einkommensarten einzubeziehen. Deshalb wollen wir uns nur auf die Kapitaleinkommen beschränken. Allerdings: Das letzte Wort über das Weglassen von Mieten und Pachten ist noch nicht gesprochen.

FAZ: Die Bürgerversicherungs-Kommission unter Andrea Nahles hat zwei Varianten angeboten: Ein Beitragssystem, das Kapitaleinkünfte direkt einbezieht, oder eine Zinsertragssteuer, deren Erträge zu einem Teil direkt ins Gesundheitswesen gelenkt werden. Was ziehen Sie vor?

Ypsilanti: Da bin ich nicht festgelegt. Ich ziehe die unbürokratischste, einfachste und effizienteste Lösung vor. Dazu muss sich der Finanzminister äußern.

FAZ: Wird mit einer Bürgerversicherung nicht einfach nur mehr Geld ins Gesundheitswesen gepumpt und damit der Zwang zu wirtschaftlichem Handeln und Sparen vermindert?

Ypsilanti: Das unterstellt man gerne der Bürgerversicherung: Es gehe nur um ein Aufblähen der Finanzmasse. Aber das stimmt überhaupt nicht. Die Bürgerversicherung entbindet nicht von der Pflicht, das Gesundheitswesen effizient und sparsam zu organisieren. Aber erst wenn die Kostenfrage gelöst ist und wir nicht mehr dauernd unter dem Druck von Einsparungen leben, können wir uns vernünftige Gedanken über eine bessere Effizienz machen.

FAZ: Das müssen Sie erklären.

Ypsilanti: Im Moment wird Effizienz nur unter dem Gesichtpunkt der Kostensenkung gesehen. Prävention spielt deshalb eine viel zu geringe Rolle. Eine gute Vorbeugung führt auf Dauer aber zu den wirklich großen Einsparungen.

FAZ: Kostet aber zuerst mehr.

Ypsilanti: Richtig. Doch nach einer gewissen Zeit werden wir echte Sparerfolge erzielen. Derzeit gliedert man, um die Beiträge zu stabilisieren, immer nur Leistungen aus, lässt sie privat bezahlen. Nach unserer Überzeugung muss es aber eine Vollversorgung für jeden Bürger geben.

FAZ: Um bis zu 1,8 Prozent können über eine Bürgerversicherung die Beiträge gesenkt werden, rechnet die Nahles-Kommission vor. Wir haben von Ihnen früher deutlich höhere Zahlen gehört.

Ypsilanti: Das liegt daran, dass die Beitragsbemessungsgrenze beibehalten werden soll.

FAZ: Was Ihnen bestimmt nicht recht ist?

Ypsilanti: Wir Hessen haben ein eigenes Konzept vorgelegt, das keine Beitragsbemessungsgrenzen vorsieht. In der Nahles-Kommission hat unser hessischer Vertreter sich mit den anderen Mitgliedern einigen müssen. Das erzielte Ergebnis ist in meinen Augen allerdings überhaupt kein schlechter Kompromiss. Die Kommissionsmitglieder mussten vieles bedenken: Wie kann man das System einfach und unbürokratisch halten, wie kann man Wettbewerb entfachen? Da ist nun einmal dieser Kompromiss herausgekommen. Ich kann mit ihm sehr gut leben.

FAZ: Stichwort Gesundheitspauschale, wie sie die CDU favorisiert: Wäre es im Sinne der Schaffung von Arbeitsplätze, im Sinne der Arbeitslosen nicht vernünftiger, den Krankenkassenbeitrag ganz vom Arbeitseinkommen zu entkoppeln und damit die Lohnnebenkosten zu senken?

Ypsilanti: Das Pauschale-Modell hat mehrere Haken. Es ist absolut ungerecht, dass ein Vorstandsvorsitzender genauso viel zahlen muss wie ein Pförtner. Außerdem würde es sehr viele Bürger zu Leistungsempfängern des Staates machen, weil sie 200 Euro Kopfpauschale nicht aufbringen können. Und dann ist überhaupt noch völlig ungeklärt, woher die Milliarden Euro kommen sollen, die der Staat Bedürftigen als Ausgleich zahlen müßte. Wir, die SPD, wollen nicht, dass ein Fahrer den gleichen Krankenkassenbeitrag hinlegen muss wie ein Manager. Wir bekennen uns vielmehr zu einem solidarischen Umbau der Sozialsysteme.