Ypsilanti und Pauly-Bender: Kein Demokratieabbau in der Hessischen Verfassung

„Leider haben die drei anderen Fraktionen unseren Vorschlag abgelehnt, die geplanten Verfassungsänderungen vor einer abschließenden Beschlussfassung in der Enquetekommission zunächst ausführlich mit den gesellschaftlichen Gruppen zu diskutieren. Es zeichnet sich aber ab, dass die anderen Fraktionen zumindest bereit sind, die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen öffentlich zu diskutieren, bevor das Gesetzgebungsverfahren beginnt. In diese anstehende Debatte gehen wir mit einem klaren Votum: Den geplanten Demokratieabbau und die vom Geist des Neoliberalismus getragene Neuordnung der Wirtschaftsverfassung machen wir nicht mit“, sagte die SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti am Montag in Wiesbaden.

Sie forderte gemeinsam mit der Obfrau der SPD-Fraktion in der Verfassungsenquete, Dr. Judith Pauly-Bender, die anderen Parteien auf, sich an die Zusage zu halten, die Verfassung nur im Konsens zu ändern. Dies sei die „Geschäftsgrundlage“ bei Einsetzung der Enquetekommission gewesen.

Entschieden lehne die SPD die Neuregelung ab, wonach künftig der Landtag mit Zweidrittelmehrheit die Verfassung ändern könne – bislang ist für eine Verfassungsänderung zwingend eine Volksabstimmung notwendig. „Die Hessische Verfassung ist eine Volksverfassung und soll dies nach unserem Verständnis auch bleiben. Die Absenkung der Hürden für ein Volksbegehren kann diesen Demokratieabbau nicht kompensieren.“ Nach derzeitigem Stand müssten bei rund 4,3 Millionen Wahlberechtigten 860.000 für ein Volksbegehren stimmen, künftig wären es knapp 540.000. „Hier ernsthaft von einer Steigerung des Einflusses der Bürgerinnen und Bürger zu sprechen, ist illusorisch. Am Ende wird die Verfassung der direkten Demokratie entzogen und allein dem Landtag überantwortet“, sagte Ypsilanti.

Gerade die Debatte über die Studiengebühren zeige die Gefahr, die in der geplanten Änderung liege. „Die Verfassung verbietet Studiengebühren. Künftig könnte dieses Verbot vom Landtag aufgehoben werden. Vielleicht verfolgt die CDU ja diese Absicht und hat deshalb in den Verhandlungen der Enquetekommission nie den Vorschlag gemacht, den Artikel 59 zu ändern.“

Pauly-Bender bedauerte, dass sich anders als 1946 heute kein Konsens über die Sozial- und Wirtschaftsverfassung mehr herstellen lasse. „Wir hängen nicht an Relikten wie der Sozialisierung oder der Bodenreform, aber wir hängen an der Grundaussage einer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung der wirtschaftlichen Betätigung und wir hängen am Vorrang von Tarifverträgen vor Betriebsvereinbarungen.“

Für die SPD sei es mehr als eine Akzentverschiebung, wenn die Aufgabe der Wirtschaft, dem Wohle des ganzen Volkes zu dienen, dem Leitsatz nachgeordnet werde, wonach die wirtschaftliche Betätigung frei sein soll. Ypsilanti sagte: „Die Sozialbindung des Eigentums, wie sie auch in der Hessischen Verfassung verankert ist, stellen wir nicht zur Disposition.“

Die SPD werde auch nicht die Hand dazu reichen, die Tarifautonomie zu unterhöhlen. „Die Frage der Tarifautonomie wird möglicherweise ein Kernthema des Bundestagswahlkampfes werden. Die Union bläst zum Angriff auf die Arbeitnehmerrechte, auch beim Kündigungsschutz und bei der Arbeitszeit. Wir wollen und werden keine Verfassungsänderung mittragen, die tendenziell in dieselbe Richtung weist.“

Keine Festlegung werde die Hessen-SPD beim Thema Gottesbezug in der Präambel treffen. „Das ist eine Gewissensentscheidung, die jede und jeder für sich selbst treffen muss. Es widerspräche unserem Verständnis von religiöser Toleranz, hier ein Parteivotum herbeizuführen.“ Auch den Landtagsabgeordneten werde die Abstimmung in diesem Punkt freigestellt. „Wir werden aber mit höchster Sensibilität darauf achten, dass Hessen als Staat religiöse Neutralität wahrt – vor dem Gesetz ist jeder Glaube und auch Nichtglaube gleich.“