Ypsilanti sagte:
Wir unterhalten uns heute über das, was der 17. Dezember 2004 bedeutet. Der Tag, an dem klar war, dass ein zum Greifen naher Kompromiss zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung gescheitert war. Die mühsame Suche nach Kompromissen für den Bundesgesetzgeber, verschachtelte Kompetenzen zu Lasten der Länder – all das, was mit Selbstblockade unseres politischen Systems beschrieben wird, schien ein Ende zu haben. Wäre da nicht Roland Koch in seiner Rolle als verbohrte konservative Fortschrittsbremse gewesen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den gemeinsamen Antrag aller Landtagsfraktionen vom Juli letzten Jahres. Wir wollten den politischen Weg in die Zukunft erleichtern. Schluss mit komplizierten Zuständigkeiten, Schluss mit der politischen Selbstblockade. Dabei wollten wir unserem Bedeutungsverlust als Länderparlamentarier entgegenwirken, aber nicht den Weg zurück in die Kleinstaaterei gehen.
Ich stelle hier fest: Genau diesen Weg des Konsenses zwischen allen Fraktionen hat der Hessische Ministerpräsident verlassen. Ihre Borniertheit hat das Land Deutschland und Hessen um Chancen gebracht. Und die Menschen dürfen wieder den Preis für diese Politik bezahlen, Herr Ministerpräsident. Ich finde, wir sollten uns dieses Lehrstück dogmatisch motivierter Blockade etwas näher anschauen.
Der Kompromiss ist gescheitert, weil bekanntlich eine Einigung über den Bildungsbereich nicht zustande kam.
Meine Damen und Herren von der CDU, aus Ihren Reihen hören wir immer wieder die Behauptung, der Bund habe in der Bildung seine Positionen in den Verhandlungen noch ausbauen wollen. Unwahre Behauptungen werden allerdings nicht wahrer, je öfter man sie wiederholt.
Die Wahrheit ist doch: Der Bund hatte beim Hochschulrahmengesetz deutlich Positionen geräumt. Er hatte sich vom Recht des wissenschaftlichen Personals verabschiedet. Im zunächst sehr umstrittenen Bereich der Qualitätssicherung gab es eine Kompromissformel. Bei Fragen des Hochschulzuganges und der Anerkennung von Bildungsabschlüssen lag man dicht beieinander. Und beim Hochschulbauetat war der Bund bereit, 50 Prozent, das heißt mehr als 450 Millionen Euro pro Jahr, festgeschrieben bis 2012 und perspektivisch bis 2019, in die alleinige Verfügung der Länder abzugeben.
Aber dieses Mehr an Verfügungsgewalt wird es vorerst für die Länder nicht geben. Und das wollen Sie uns dann als Verteidigung der Länderposition verkaufen? Die Wahrheit ist doch: Sie haben hier Hessen und seine Hochschulen um Chancen gebracht.
Aber diesen Teil sollten wir uns wirklich näher anschauen, nämlich den Teil Geld und Bildung. Hier zeigt sich deutlich, dass es nur darum geht, mit aller Macht jeglichen Fortschritt in der Bildungspolitik aufzuhalten.
Im Rahmen der Verhandlungen war der Bund sogar dem Verlangen der Union entgegen gekommen, Finanzhilfen im Bildungsbereich auszuschließen, soweit sie ausschließliche Länderzuständigkeiten betreffen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da will jemand, dass er kein Geld mehr bekommt. Und das, obwohl spätestens seit PISA klar ist, dass wir die Zukunftsanstrengungen in der Bildung nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden lösen können. Aber der Bund war des Kompromisses willen mitgegangen.
Um was sollte es praktisch gehen? Ein weiteres Vier-Milliarden-Euro-Programm des Bundes für Ganztagsschulen wäre ausgeschlossen gewesen. Das Programm, dessen Umsetzung Sie auf Landesebene mit allen Mittel zu verhindern und zu verzögern versuchen. Eben, weil es in Ihr konservatives Weltbild nicht passt. Ihnen geht es doch in Wahrheit nur darum, durch rückständige Kleinstaaterei Fortschritte in der Bildungspolitik zu blockieren. Das heißt bei Ihnen ausschließliche Länderzuständigkeit!
Aber das ist nicht das einzige Beispiel. Schauen wir uns den Hochschulbereich einmal näher an. Über die besondere Bedeutung des Bologna-Prozesses sind wir uns in diesem Haus alle einig.
Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes bringt gerade für die hessischen Hochschulen und ihre Studierenden viele Chancen. Da ist es nur gut, dass Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn die Umstellung auf Bologna-taugliche neue Studiengänge unterstützt. Dafür will sie 4,4 Millionen Euro ausgeben, damit an 20 Hochschulen zwei Jahre lang zusätzliche Experten für diese Umstellung beschäftigt werden können.
Und was passiert: Kaum ist das Vorhaben ein paar Wochen bekannt, zieht der Ministerpräsident dagegen vor das Bundesverfassungsgericht, weil es ihm um die Kompetenzen geht.
Praktisch heißt das: Der Ministerpräsident will dagegen klagen, dass die Hochschulen seines Landes Geld vom Bund bekommen können. Der gleiche Ministerpräsident, der laut über die Einführung von Studiengebühren für alle nachdenkt, der Ministerpräsident, der die Hochschulen finanziell ausdünnt, der Ministerpräsident, der den Bediensteten an den Hochschulen mehr Arbeit fürs gleiche Geld zumutet. Dieser Ministerpräsident will, dass die Hochschulen kein Geld vom Bund nehmen dürfen.
Das ist doch eine Absurdität ohnegleichen. Das sollten Sie den eben genannten Betroffenen vor Ort persönlich vermitteln. Ich bezweifle allerdings, dass sie damit weit kommen werden.
Interessant ist allerdings auch die weitere Begründung: Der Ministerpräsident nennt die 4,4 Millionen Euro eine Provokation. Und weiter: Er befürchtet die damit zusammenhängende Fremdbestimmung durch den Bund, wie er sagt. Ich sage hier mal, was hier die wahre Fremdbestimmung ist: Es der Egoismus des Roland Koch. Nämlich den Hochschulen und den anderen Ländern verbieten zu wollen, das Geld des Bundes anzunehmen.
Oder sagen wir es doch direkt: Sie wollen kein Geld aus Berlin, damit Sie sich nicht hier dafür rechtfertigen müssen, warum Sie es nicht weitergeben, warum Hessen mit Ihnen bildungspolitisch als Letzter das Licht ausmacht.
Der Bildungsbereich ist ein Zukunftsthema. Die Chancengleichheit hängt entscheidend von den Strukturen im Bildungsbereich ab. Chancengleichheit bedeutet für die SPD gleiche Chancen für alle, flächendeckend. Das schließt Kleinstaaterei aus.
Denn wir wollen eben nicht, dass ein Wettbewerb darum entsteht, welches Bundesland bei PISA in der ersten und welches in der zweiten Liga steht. Während für Sie auf der Regierungsbank der Ausschluss von Menschen die politische Kategorie in der Bildungspolitik ist, wollen wir eine gute Bildung für alle.
Wir wollen eben nicht, dass es für Kinder noch schwerer wird, vom Schulsystem eines Bundeslandes in das eines anderen zu wechseln. Aus diesem Grund fordern wir bundesweite Bildungsstandards im Schulbereich mit einer bundesweit zuständigen Evaluierungsstelle. Und wir wollen, dass es weiterhin möglich ist, nationale Innovationen in der Bildungspolitik anzuschieben. Und genau deswegen wollen wir weiterhin einen verfassungsrechtlich abgesicherten gemeinsamen Rahmen von Bund und Ländern in der Bildungspolitik.
Wir wollen, dass es in einem Deutschland, das sich föderalistisch innerhalb der Europäischen Union entwickelt, nicht zum Stillstand kommt. Hier ist der Geleitzug aus Bund und Ländern in einer gemeinsamen Verantwortung, ich betone gemeinsam. Denn es ist und bleibt ein Widerspruch, von den Menschen immer mehr Mobilität in Europa einzufordern, gleichzeitig innerstaatlich in ein immer größeres Klein-Klein zurückzufallen.
Wäre es nach dem ursprünglichen Willen der Ministerpräsidenten der Union gegangen und da waren Sie ja in vorderster Reihe, Herr Koch – wäre im Hochschulbereich für den Bund ein noch schmalerer Regelungskorridor übrig geblieben, als er sich ohnehin schon aufgrund des Entgegenkommens der Bundesregierung ergeben hätte.
Schauen wir uns die praktischen Konsequenzen dieser Politik einmal etwas näher an: Bestimmte Bundesländer könnten durch die Einführung hoher Studiengebühren ihre Studierendenzahlen halbieren und sich auf exquisite Eliteförderung konzentrieren. Die anderen hingegen müssten die übrigen Studierenden übernehmen. Ein unsinniger Wettbewerb zu Lasten der Betroffenen wäre die Folge. Wie wir auf diesem Weg die von uns allen immer wieder so geforderte höhere Studierendenquote gepaart mit örtlicher Mobilität hinbekommen wollen, ist mir mehr als schleierhaft.
Zum Bundesverfassungsgericht sage ich in diesem Zusammenhang nur: In Karlsruhe wird entschieden, was rechtlich möglich ist. Wir unterhalten uns allerdings darüber, was politisch sinnvoll ist. Eine Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft hin zu einem Flickenteppich ist es jedenfalls nicht.
Auch die anderen Politikbereiche zeigen es: Ihnen geht es nicht um sachgerechte Regelungen, sondern um taktische Spielchen gegen Berlin. Das zeigt auch die Forderung im Antrag der Unionsfraktion, den Solidarpakt mit entsprechenden Summen im Grundgesetz zu fixieren. Der Korb II des Solidarpaktes ist abgesichert, weshalb es keinen Grund gibt, in das Haushaltsrecht des Bundestages einzugreifen.