Ypsilanti: Primat der Politik sichern

Interview des „Mannheimer Morgen“ mit Andrea Ypsilanti. Erschienen am 3. Mai 2005. Das Interview führte Stefan Mack.

Freuen Sie sich, dass Kapital-Kritik plötzlich in der SPD zum guten Ton gehört?

ANDREA YPSILANTI: Ich bin sehr glücklich über die Debatte, die Franz Müntefering angestoßen hat. Jetzt zeigt sich wieder, dass wir die Partei der sozialen Gerechtigkeit sind. Das haben wir aus der Hessen-SPD ja immer wieder gefordert.

Vor allem Sie. Als Erste brachten einen Boykott der Deutschen Bank ins Spiel…

YPSILANTI: Es ging mir nicht um einen Boykottaufruf. Ich wollte nur diskutieren, was Artikel 14 des Grundgesetzes, wonach Eigentum verpflichtet, eigentlich bedeutet.

Und?

YPSILANTI: Eigentum muss auch der Allgemeinheit dienen. Wenn ein Unternehmen mit Hilfe seiner Mitarbeiter hohe Gewinne erwirtschaftet, kann es danach diese Mitarbeiter doch nicht entlassen.

Also eine Debatte um der Debatte Willen?

YPSILANTI: Nein, wir werden konkrete Konsequenzen ziehen. Erstens wollen wir das Primat der Politik sichern, nicht der Wirtschaft. Zweitens wird die Frage, welche Rolle der Staat hier künftig spielen soll, auch im neuen Grundsatzprogramm der SPD behandelt werden.

Beides dürfte den meisten Wählern abstrakt bleiben. Was haben Sie konkret vor?

YPSILANTI: Wir werden zum Beispiel mit den Gewerkschaften die Sicherung von Mindestlöhnen prüfen. Die Unternehmenssteuern dürfen nur gesenkt werden, wenn die Unternehmen dafür an anderer Stelle aufkommen. Außerdem bin ich für eine Verbesserung der betrieblichen Mitbestimmung. Arbeitnehmervertreter sollten mehr Einfluss auf die Personalplanung bekommen. Und wir müssen verstärkt über Konsumentensouveränität diskutieren…

Ein freundlicheres Wort für Boykottaufruf?

YPSILANTI: Nein, nur eine öffentliche Beachtung der Unternehmensethik. So, wie es ein Öko-Label für umweltfreundliche Produkte gibt, könnte es ein Gütesiegel für jene Unternehmen geben, die ihre soziale Verantwortung wahrnehmen.

Glauben Sie ernsthaft, dass könnte an der Supermarktkasse honoriert werden?

YPSILANTI: Warum nicht? Viele Kunden achten doch beim Einkauf auf das Öko-Label. Das könnte auch mit dem Sozial-Label funktionieren. Umso wichtiger ist es, nun diese Debatte zu führen.

In Umfragen stößt die Kapital-Kritik inhaltlich auf Zustimmung, wird aber als reine Wahlkampftaktik der SPD abgetan.

YPSILANTI: Das ist sie nicht. Franz Müntefering hat sich früher ähnlich geäußert, da hat es nur keinen interessiert. Jetzt werden wir davon auf keinen Fall abrücken.

Wie lässt sich das mit dem "Genossen der Bosse" im Kanzleramt vereinbaren?

YPSILANTI: Jeder von uns muss jetzt überlegen, wie sich der Wille der Partei in Politik umsetzen lässt. Die gesamte SPD steht hinter Müntefering. Auch der Kanzler hat ihm in weiten Teilen Recht gegeben.

Angeblich signalisiert er Unternehmern aber, dass das alles nicht so gemeint sei.

YPSILANTI: Davon weiß ich nichts.

Was halten Sie davon, dass die Grünen nun verstärkt auf Distanz gehen und Münteferings Wortwahl kritisieren?

YPSILANTI: Die sollen mal nicht so empfindlich sein. Ohne eine starke SPD gibt es auch keine rot-grüne Regierung.

Wie gefällt Ihnen denn der Vergleich von Investoren mit Heuschrecken?

YPSILANTI: Das war ja ein biblisches Zitat von Franz Müntefering. Ich persönlich würde es eher anders ausdrücken: Ich bin nicht so bibelfest.