WNZ: Matthias Platzeck hat fast hundert Prozent der Delegierten hinter sich bekommen. Haben Sie mit einem Ergebnis in solcher Höhe gerechnet?
Ypsilanti: Matthias Platzeck hat eine sehr gute, sehr einfühlsame und inhaltsreiche Rede gehalten. In meiner Delegation waren alle sehr begeistert. Er hat die Partei an jeder Stelle angesprochen. Das wurde mit einem guten Wahlergebnis honoriert.
WNZ: Wird der Streit der vergangenen Wochen nun zu den Akten gelegt?
Ypsilanti: Eine große Volkspartei, die sich mit gesellschaftlichen Themen auseinander setzt, hat natürlich nicht immer eine Meinung. Ich finde die Auseinandersetzung gar nicht schlimm. Doch wenn man gemeinsam Beschlüsse gefasst hat, sollte man sie hinterher auch gemeinsam vertreten. Ich sehe die Streitkultur als etwas sehr Positives, ich nenne das aber lieber den Dialog und Diskurs in der Partei. Das hat in der Vergangenheit etwas nachgelassen. Matthias Platzeck will ihn reaktivieren, und das finde ich ganz hervorragend.
WNZ: Sind die Flügelkämpfe erst einmal beendet?
Ypsilanti: Dass eine Partei, die so breit aufgestellt ist wie die SPD, Flügel hat, ist ganz normal. Die Geschlossenheit auf dem Parteitag hat aber gezeigt, dass sich die Flügel respektieren. Dieses Signal geht von Karlsruhe aus.
WNZ: Franz Müntefering und Matthias Platzeck haben Andrea Nahles Absolution dafür erteilt, dass sie mit ihrer Kampfkandidatur den Verzicht Münteferings auf eine weitere Amtszeit auslöste. Wie beurteilen Sie den Umgang der Partei mit Nahles?
Ypsilanti: Ich fand es nicht in Ordnung, dass Frau Nahles als der "Bösewicht" hingestellt wurde. Immerhin haben 23 Personen im Parteivorstand sie gewählt und unterstützt. Sie hat die Verantwortung übernommen und nicht mehr für den geschäftsführenden Vorstand kandidiert. Ich freue mich, dass sie gleich im ersten Wahlgang wieder in den Parteivorstand gewählt wurde.
WNZ: Sie sind neu in den Parteivorstand gewählt worden. Wie beurteilen Sie Ihr Ergebnis?
Ypsilanti: Als neue Kandidatin im ersten Wahlgang glatt in den Parteivorstand gewählt worden zu sein, freut mich. Ich glaube, wir werden eine sehr gute Zusammenarbeit im Parteivorstand hinbekommen.
WNZ: Wie hat die Parteilinke aus Ihrer Sicht abgeschnitten?
Ypsilanti: Der Vorstand bildet die Breite der Partei ab. Ich teile die Auffassung des neuen Vorsitzenden Matthias Platzeck, dass die Partei mehr ist als die Summe ihrer Flügel.
WNZ: Ist der Eindruck richtig, dass die so genannten Netzwerker bei den Vorstandswahlen abgestraft wurden? Eine Reaktion auf ihre Rolle als Drahtzieher der Abstimmung im Parteivorstand, die zu Münteferings Verzicht auf eine weitere Amtszeit geführt hat?
Ypsilanti: In solche Wahlergebnisse wird viel zu viel hineininterpretiert. Was wir geschafft haben, ist ein reibungsloser Generationenwechsel.
WNZ: Matthias Platzeck gilt in Parteikreisen heute schon als der kommende Kanzlerkandidat der SPD. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ypsilanti: Wir haben die Rollen für die neu zu beginnende Legislaturperiode verteilt und dabei ein gutes Team zusammengestellt, mit Matthias Platzeck an der Spitze und Franz Müntefering als Vizekanzler. Es wäre Quatsch, sich jetzt Gedanken über die Startaufstellung in vier Jahren zu machen.
WNZ: Kritiker des Koalitionsvertrags mit der Union vermissen ein politisches Leitbild in der Vereinbarung. Sie hingegen haben sich sehr positiv darüber geäußert und auf die "sozialdemokratische Handschrift" verwiesen.
Ypsilanti: Wir sind natürlich in der großen Koalition zu Kompromissen gezwungen. Das ist keine sozialdemokratische Programmatik pur. Die Partei muss sich erlauben, über die Grenzen des Koalitionsvertrags hinaus zu diskutieren und eine Vision zu entwickeln, wie wir in Zukunft leben wollen. Wie wollen wir mit dem Anspruch auf Bildung umgehen, mit unseren Familien? Wie wollen wir dafür sorgen, dass die Arbeit gerechter verteilt wird? Wie wollen wir wirtschaften, um unsere ökologischen Grundlagen nicht zu zerstören? Das sind Fragen, die die Partei über den Koalitionsvertrag hinaus beantworten muss.
WNZ: Das Konzept der Bürgerversicherung, das sich im SPD-Wahlprogramm findet, ist ein "hessisches Kind". Welche Chancen hat das Projekt in der großen Koalition?
Ypsilanti: Die Reform des Gesundheitswesens ist ja ausgeklammert worden. Ich bin aber gar nicht so unglücklich darüber. Ehe man einen schlechten Kompromiss schließt, ist es besser, sich Zeit zu lassen. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass die Bürgerversicherung das Sozialversicherungssystem der Zukunft ist. Das Gesundheitssystem in seiner heutigen Form ist nicht zukunftsfähig.
WNZ: In Berlin sind Union und SPD Partner, in Wiesbaden Gegner. Wird die Oppositionsarbeit in Hessen schwieriger?
Ypsilanti: Wir werden Herrn Koch auf keinen Fall mit Glacéhandschuhen anfassen, nur weil wir auf Bundesebene nun eine große Koalition machen. Roland Koch bleibt unser politischer Gegner in Hessen.
WNZ: Welcher Impuls geht von Karlsruhe für die hessische Kommunalwahl im Frühjahr 2006 aus?
Ypsilanti: Wir hatten ja schon bei verschiedenen Wahlen nicht unbedingt den besten Rückenwind. Aber ich bin mit Blick auf die Kommunalwahl sehr optimistisch. Wir hatten erstens in den vergangenen Monaten sehr gute Erfolge bei den Direktwahlen. Wir stellen die meisten Bürger- und Oberbürgermeister. Zweitens ist die Parteibasis hoch motiviert. Die Wahlprogramme stehen, die Listen werden aufgestellt und wir haben sehr großen Zulauf von jungen Leuten. Nächste Woche wollen wir auf dem Landesparteitag über Kommunalpolitik reden.