
Hier die Rede von Andrea Ypsilanti auf dem Hessengipfel unter dem Titel: Für ein sozial gerechtes Hessen.
"Herzlich willkommen zum 6. Hessengipfel. Wir wollen diesen Hessengipfel als Auftakt zu unserer Programmdebatte für die Landtagswahlen in 2008 nutzen.
Das Erstellen eines Wahlprogramms ist immer eine spannende Aufgabe für die Partei. Dieses Mal ist das Erstellen unseres Wahlprogramms etwas ganz besonderes aus zwei Gründen:
Ersten läuft unsere programmatische Arbeit in Hessen parallel zur Grundsatzprogrammdebatte auf Bundesebene. Die hessische SPD hat also zwei Programmdebatten gleichzeitig zu führen. Das ist ein großer Vorteil, weil wir damit auch doppelten Schwung nehmen und unsere Kräfte konzentrieren können.
Zweitens war die grundsätzliche und fundamentale Orientierung der Politik in unserer Gesellschaft schon lange nicht mehr so wichtig und so strittig wie sie das zurzeit insbesondere in Hessen ist.
Die Bürger wollen eine grundsätzlich andere Richtung der Politik als die von der Hessen-CDU.
Aber nur wenn wir unsere Alternative auch klar, deutlich und grundsätzlich formulieren und vermitteln können, wird es uns gelingen, diesen Willen der Bürger auch in Wählerstimmen für uns umsetzen zu können. Das ist uns bei der letzten Kommunalwahl leider noch nicht überall gelungen.
Ich finde es daher richtig, dass Kurt Beck in seiner Einführung in die Programm Debatte auf Bundesebene deutlich auf einen zentralen Unterschied zwischen uns und den anderen eingegangen ist; nämlich auf die Rolle des Staates.
Zustimmung zum Staat hängt auch davon ab, dass er effektiv und effizient arbeitet, keine Mittel verschleudert und die Leistungen erbringt, die die Menschen von ihm erwarten. Dann sind sie auch bereit die öffentlichen Aufgaben in Form von Steuern und Sozialausgaben zu unterstützen.
Im Gegensatz zu Linksdogmatikern will die SPD eine Modernisierung des Staates. Aber man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Ein genereller Abbau der staatlichen Leistungen ist mit uns nicht zu machen. Hier unterscheiden wir uns von den neoliberalen Scharfmachern der FDP und insbesondere von den hessischen Teilen der CDU.
Wir müssen uns zwar immer wieder die Frage stellen, ob die Organisation des Staates noch den aktuellen Erfordernissen entspricht und ob staatliche Leistungen zielgenau und so erbracht werden, dass sie ihren Zweck auch erfüllen.
Aber die Bürger und Bürgerinnen wollen die Sicherheit die ihnen nur ein solidarischer Staat geben kann; und die Bürger wollen, dass es gerecht zugeht. Dafür waren schon immer wir, dafür war die SPD zuständig und dabei bleibt es auch.
Und zur Solidarität und Gerechtigkeit gehört für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen natürlich die Freiheit.
Wir wollen Freiheit für den einzelnen und für die Wirtschaft – aber nur in Verbindung mit Solidarität und Gerechtigkeit.
Deshalb dürfen wir die Menschen und unsere Gesellschaft nicht dem ungeregelten Markt ausliefern. Politik und Markt müssen sich produktiv ergänzen. Damit diese Verbindung gelingt und damit alle drei Grundwerte im Gleichgewicht sind brauchen wir einen handlungsfähigen Staat.
Wir sind gegen die Parole der Liberalen vom Rückzug des Staates. Wir wollen nicht weniger, sondern einen besseren Staat.
Diesen engen Zusammenhang zwischen Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität und die Balance zwischen den Ansprüchen der Wirtschaft einerseits und Politik andererseits hat die SPD bei ihrem Regierungshandeln in Berlin in den letzten Jahren nicht immer hinreichend deutlich machen können.
Eine Ursache dafür war sicherlich auch die zu geringe Verbindung des Alltagshandelns mit den grundsätzlichen Orientierungen unserer Partei. Deshalb sind Grundsatzdiskussionen nicht nur Selbstbeschäftigung für Theoretiker. Sie haben die Aufgabe die Ziele und Wege der Parteien deutlich zu machen und den Bürgerinnen und Bürgern Orientierung für ihre demokratischen Entscheidungen zu geben. Sie machen den Menschen unseren Gestaltungswillen und Gestaltungsanspruch deutlich.
Wir in der Hessischen SPD müssen hier nicht bei Null anfangen. Unsere Stimme für eine klarere politische Orientierung ist bekannt und wird auch gehört.
In der Frage der sozialen Gerechtigkeit, des solidarischen Ausgleichs, dem gleichberechtigten Zugang zu Bildung, dem Recht auf angemessene Entlohnung, ausreichende Kinderbetreuung und gerechte Steuern, hat die hessische SPD immer eine eindeutige Position bezogen, die ich nicht immer zur Freude aller- offensiv in die politische Debatte eingebracht habe.
Wie haben uns früh – auch schon in der Zeit der Agenda-Debatte – kritisch eingemischt. Wir haben darauf hingewiesen, dass der Staat ein handlungsfähiger, ein vorsorgender und für manche Menschen in bestimmten Lebenssituationen auch ein fürsorgender Staat sein muss. Für mich ist die so genannte TINA-Logik ("there is no alternative") nicht die Antwort, die ich als Politikerin akzeptieren kann. Deshalb hat die hessische SPD nach Alternativen gesucht, diese diskutiert und konstruktive Vorschläge für eine sozialdemokratische Alternative zum globalen Mainstream entworfen und in die politische Diskussion eingebracht.
Dazu gehörte unter anderem die Debatte zur Verantwortung von großen Unternehmen, die hohe Gewinne erwirtschaften, aber zu Gunsten des Share Holder Value Arbeits- und Ausbildungsplätze abbaut.
Dazu gehört die solidarische Bürgerversicherung, also ein moderner und gerechter Umbau des Gesundheitswesens.
Wir haben diskutiert, dass eine starke Wirtschaft in einer Demokratie auch gesellschaftliche Verantwortung trägt.
Und wir haben diskutiert, dass der Markt ein sinnvolles Steuerungs- und Verteilungsinstrument ist, dass er aber nicht alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen und dominieren darf. Der Markt darf nicht zum Selbstzweck werden.
Es gibt einen breiten Konsens in der Gesellschaft über Aufgaben und Leistungen, die der Staat allen Menschen zur Verfügung zu stellen hat und wo er den Zugang aller Menschen zu diesen Leistungen absichern muss.
Dazu gehören Bildung, Gesundheit, ein würdiges Leben im Alter, alle Bereiche der Daseinsvorsorge aber auch eine soziale Sicherheit in Zeiten in denen sich Gesellschaft schnell verändert und in der von den Menschen erwartet wird, dass sie in hohem Maße flexibel sind, um sich diesen Veränderungen anpassen.
Der Maßstab unserer Politik ist dabei nicht das Wünsch-Dir-Was der Wirtschaft und der selbsternannten Leistungsträger, sondern die Durchsetzung des Primats der Politik im Sinne der Menschen und einer sozialen und demokratischen Gesellschaft.
Sicher gibt es einen Anpassungsdruck an globale Erfordernisse. Dieser ist allerdings kein Naturgesetz, sondern durch politisches Handeln in der EU und in den globalen Organisationen und Abkommen von Menschen gemacht worden. Er kann also auch anders gesteuert werden. Aber der Anpassungsdruck existiert. Man sollte ihn nicht leugnen. Aber damit ist noch lange nicht klar, wie man diesem Anpassungsdruck begegnet. Es gibt Alternativen.
Man muss nicht zwangsläufig Arbeitnehmerrechte abbauen, Löhne kürzen und eine Arbeitslosigkeit von über 5 Millionen akzeptieren. Die skandinavischen Länder zeigen uns auch andere Wege der Modernisierung.
Auch für die gegenwärtige Politik in Hessen gibt es eine Alternative. Die Ideologie der hessischen CDU, die den hessischen Staat durch Privatisierung und Verschuldung handlungsunfähig macht und die Kommunen bei Geld und Handlungsmöglichkeiten beschneidet, ist falsch.
Es ist in Hessen aber noch eine große Aufgabe für uns, unsere politische Alternativen viel deutlicher als bisher zu machen. Wir haben eine andere politische Orientierung unsere Beteiligung an der bundesweiten Grundsatzdebatte zeigt dies deutlich. Wir haben auch eine bessere Lösung für die Politik in Hessen. Aber hier müssen wir mit der konzeptionellen Arbeit und in der Vermittlung noch zulegen.
Wir werden mit unserem Wahlprogramm einen Politikentwurf präsentieren, der die Alternative deutlich macht. Wir werden der Lobby-Politik für die oberen Zehntausend, für die Atomindustrie und die Ackermänner eine Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des sozialen Fortschritts entgegensetzen.
Unser Wahlprogramm wird Visionen von Hessen zeigen, wie es in 10 oder 15 Jahren aussieht. Unser Programm wird zeigen, wie es sich in allen Regionen Hessens gut leben und arbeiten lässt. Es wird darauf setzen, dass eine starke Wirtschaft und ein leistungsfähiger Staat gemeinsam dem Wohl der Menschen dienen und nicht umgekehrt.
Ich nehme die öffentliche Verantwortung für die Arbeitwelt ernst. Koch hat in seiner Verantwortung die Arbeiter, Angestellten und Beamten zu den Ausfallbürgen seiner miserablen Finanzpolitik gemacht. Einer Finanzpolitik die Schlösser kauft und Menschen entlässt. Die öffentliche Hand muss mit gutem, nicht mit schlechtem Beispiel vorangehen, wenn es um Arbeitszeit und Lohn geht. Mit uns gibt es keine Arbeitzeiterhöhung die Arbeitsplätze vernichtet und keine Lohnsenkung die uns volkswirtschaftlich an anderer Stelle hohe Kosten verursacht.
Mit uns wird es keine Auslese in der Bildungspolitik geben, mit uns werden alle Kinder die besten Bildungschancen haben. Mit uns wird es eine Familienpolitik geben, die die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen im Beruf an die erste Stelle setzt.
Dazu gehört auch eine aktive Beschäftigungspolitik und nicht die Kapitulation vor den Arbeitslosenzahlen. Wir müssen dafür Sorgen tragen, dass die gesellschaftlichen Bedarfe Arbeitplätze auf der einen Seite und Arbeitsbedarf in vielen Bereichen der gesellschaftlichen Dienstleistungen – zusammengeführt werden. Wenn insbesondere die großen Unternehmen sich offensichtlich mit über 5 Millionen Arbeitslosen bei steigenden Gewinnen bequem einrichten, dann müssen wir dem Mittelstand und neuen Unternehmen helfen mit Produktinnovationen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn der Markt die Diskrepanz zwischen Bedarf und Potential nicht schließt, dann muss der Staat helfen. Dies gilt auch für eine Landesregierung.
Der Dienstleistungssektor besteht nicht allein aus Call-Centern und studentischen Aushilfskräften in der Gastronomie. Wir haben einen immensen Bedarf an Arbeitskräften im Bildungssektor, in Pflege und Gesundheit, bei präventiven sozialen Diensten. Und wir wissen auch, dass im Bereich der Umwelt, der erneuerbaren Energien große Chancen für die Beschäftigung liegen. Hier ist viel staatliche Initiative notwendig. Hier muss das Land insbesondere den Kommunen helfen, dass zu tun, was notwendig ist.
Wir haben einen großen Bedarf daran, dort Kapital zu investieren, wo es der Markt nicht hergibt, weil kurzfristige Profiterwartungen im Wege stehen oder notwendiges Kapital für Investitionen nicht vorhanden ist. Die Instrumente für diese Politik sind da. Die CDU in Hessen verschleudert und privatisiert diese Instrumente gerade. Das gibt es mit uns nicht.
Bei allem wird den Kommunen eine wichtige Rolle zukommen. Ihnen wird eine zentrale Aufgabe bei der Gestaltung eines starken und sozialen Hessen zukommen. Die CDU knebelt und bevormundet die Kommunen. Wir wollen deren Kraft und Stärke wieder freisetzen.
Es wird unsere Aufgabe sein, unseren grundsätzlichen gesellschaftlichen Gestaltungswillen auch für Hessen noch deutlicher als bisher zu zeigen und den Menschen eine klare und grundsätzliche Orientierung zu geben. Dazu müssen wir auch noch einiges lernen. Dazu müssen wir denen zuhören, die sich mit den fundamentalen Aspekten unserer gesellschaftlichen Orientierung schon lange beschäftigen. Deshalb bin ich Herrn Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach dankbar, dass er unserer Einladung gefolgt ist.
Grundsatzdiskussion und Pragmatismus sind keine Gegensätze. Sie gehören zusammen. Einseitige Grundsätze führen zur Ideologie. Einseitiger Pragmatismus verliert die grundsätzliche Orientierung.
Es ist meine Überzeugung, dass nur beides zusammen die Menschen wieder an die Wahlurne bringt: Gestaltungswille und Vision auf der einen Seite und Problemlösungskompetenz entlang der Alltagsfragen und tagespolitischen Herausforderungen auf der anderen Seite. Ihr seid alle aufgefordert in den kommenden Monaten an der richtigen Balance dieser Aspekte mitzuarbeiten. Wenn uns das gelingt, dann werden die Bürger auch uns das Mandat erteilen, Hessen wieder zu regieren."