Andrea Ypsilanti (SPD): „Mit mir wird Hessen zum Land der erneuerbaren Energien“

Andrea Ypsilanti bei einem Besuch der SMA Technologie AG in Niestetal (Landkreis Kassel) zusammen mit dem Träger des Alternativen Nobelpreises und Eurosolar-Präsidenten, Dr. Hermann Scheer, und SMA-Vorstandsmitglied Günther Cramer (rechts im Bild)

Im Gespräch mit dem Solarserver, dem meistbesuchten Internetportal zur Sonnenenergie in Deutschland, sagt Andrea Ypsilanti: „In 2008 steht nicht nur die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und die Abschaltung des hessischen Atomreaktors Biblis A an, sondern auch die Abwahl der hessischen Landesregierung“.

Das Interview führte Rolf Hug.

Der Solarserver: Frau Ypsilanti, Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die hessische Landesregierung im Jahr 2008 mit einem ehrgeizigen Programm für erneuerbare Energien abzulösen. Viele Landespolitiker bekennen sich zu erneuerbaren Energien, lassen aber kaum Taten folgen, weil eine neue Energiepolitik häufig Konflikte mit der traditionellen Energiewirtschaft hervorruft. Können die Menschen, die auf eine sichere Energiezukunft setzen, auf ihre Ankündigung vertrauen?
Andrea Ypsilanti: Ich stehe zu dem, was ich den Menschen vor Wahlen sage. Das habe ich schon während der Regierungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder bewiesen und das wird auch in Zukunft so sein. Ich lehne eine Politik der Beliebigkeit ab. Die Menschen sollen wissen, wo sie dran sind. Und in der Energiepolitik ist die Richtung ganz klar. Erstens mache ich sie zur „Chefsache“. Zweitens möchte ich hier ein Landesenergieprogramm ankündigen. Darin wird die hessische SPD zeigen, dass eine volle Bedarfsdeckung ohne Atomkraftwerke möglich ist, und dies bei gleichzeitiger Senkung der Klimagase und der Schaffung von zahlreichen neuen Arbeitsplätzen.

Der Solarserver: Die Solarregion Nordhessen gehört zusammen mit Freiburg zu den führenden Wissenschafts- und Technologiestandorten für dezentrale erneuerbare Energien in Deutschland und Europa. Wie kann das Land Hessen diese Trumpfkarte ausspielen?
Andrea Ypsilanti: Heute haben wir es mit dem Problem zu tun, dass die Landesregierung nur langsam und widerwillig zu lernen beginnt, dass wir diese Trumpfkarte, wie Sie es nennen, übrigens in ganz Hessen in der Hand halten. Es sind verantwortliche Politiker der SPD, wie der Kasseler Landrat Dr. Udo Schlitzberger, die erfolgreich dafür gekämpft haben, dass dieser Kompetenzschwerpunkt in Nordhessen überhaupt anerkannt wurde. So hat das Regionalmanagement Nordhessen den Bereich dezentrale erneuerbare Energien zwar ausgerufen und bemüht sich auch, ihn zu betreuen. Um aus Nordhessen eine Modellregion zu machen, reichen die Landesmittel jedoch vorne und hinten nicht. Eine SPD-geführte Landesregierung wird diese Mittel ab dem Jahr 2008 deutlich aufstocken, um in den Regionen eine Springflut an Investitionen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz auszulösen. Auf dem Weg in ein neues Energiezeitalter werden wir zusätzlich auf eine Forschungs- und Entwicklungsoffensive setzen, mit der wir unseren Kompetenz- und Technologievorsprung in Hessen weiter ausbauen wollen. Ich setze auf das Institut für Solare Energieversorgungstechnik ISET in Kassel und die vielen Forschungsbereiche für erneuerbare Energien an der Universität Kassel. Ich setze auf die Initiative Neue Energien und Neue Jobs Mittelhessen NEJO und das Kompetenznetzwerk dezentrale Energietechnologien deENet in Kassel. Ich setze auf die Berufs- und Technikerschule Butzbach und die Spezialisten für solare Architektur an der TU Darmstadt.

Der Solarserver: Sie nennen die Stärken der hessischen Wissenschaftslandschaft für dezentrale erneuerbare Energien und werfen der Landesregierung gleichzeitig Untätigkeit vor. Wie passt das zusammen?
Andrea Ypsilanti: Diese Frage ist sehr berechtigt. Hessen hat einen Reichtum an klugen Köpfen mit Weitblick. Engagierte Wissenschaftler und Forscher, wie der ISET-Gründer Professor Werner Kleinkauf oder der Solarpionier Professor Hans Ackermann von der Universität Marburg, sowie mutige Unternehmer, wie die Gründer der Firma Wagner Solartechnik in Cölbe und der SMA Technologie AG in Niestetal. Sie haben den Standortvorteil für Hessen hart erarbeitet. Dadurch ist Hessen bei der innovativen Energietechnologie vorn. Aber hinten ist die Regierung Koch. Seit diese im Amt ist, wurde nicht nur die Landesförderung für erneuerbare Energien zusammengestrichen. Zwar hat Herr Koch im vergangenen Jahr in Niestetal bei Kassel anlässlich der Einweihung eines imposanten Solardachs gesagt: „Keiner möchte die durch das Erneuerbare Energie-Gesetz in Gang gebrachte, positive Entwicklung stoppen.“ Aber die Regierung Koch hat im Bundesrat dieses Gesetz blockiert, kein hessischer CDU-Bundestagsabgeordneter hat im Bundestag zugestimmt.

Der Solarserver: Was heißt das ganz konkret für die Entwicklung der erneuerbaren Energien in Hessen?
Andrea Ypsilanti: Das wird durch den Vergleich zwischen dem Bund und dem Land Hessen auf erschreckende Weise deutlich. Der bundesdeutsche Anteil der Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien ist in den letzten sechs Jahren von 4 auf 11% angewachsen. Der hessische Anteil liegt bei nur 5%, überwiegend die schon lange bestehenden Wasserkraftwerke. In den sieben Jahren rot/grüner Koalition ist es Deutschland gelungen, sich mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) weltweit an die Spitze des Wechsels zu erneuerbaren Energien zu setzen. Hessen hängt da zurück – mit Ausnahme einiger Regionen wie dem Landkreis Kassel als Gewinnerin des diesjährigen Deutschen Solarpreises. Dazu möchte ich Landrat Dr. Udo Schlitzberger übrigens ausdrücklich meinen Glückwunsch aussprechen. Aber Hessen insgesamt ist ein Problemkind.

Der Solarserver: Wo liegt die Ursache für das geringe Wachstum bei den erneuerbaren Energien? Denn das vorbildliche EEG gilt ja auch in Hessen!
Andrea Ypsilanti: Mit Erneuerbaren Energien werden wenige Großkraftwerke durch viele mittlere und kleinere Anlagen ersetzt. Dafür braucht man Standorte, über deren Genehmigung in der Landespolitik entschieden wird. Was aber in Hessen vorherrscht, ist keine Genehmigungs-, sondern eine Verhinderungspraxis. Die CDU-Regierung will Hessen zum Ausschlussgebiet gegen die Windenergie machen und hintertreibt damit das EEG. Offiziell geschieht das im Namen des Landschaftsschutzes. Aber darum geht es gar nicht. 2000 Anlagen, die Wind, Sonne, Geothermie und Biomasse nutzen, können heute die Produktionsmenge beider Biblis-Reaktoren ersetzen. Generell gilt: Wer erneuerbare Energien willkürlich verhindert , der will uns künstlich abhängig halten von den klima-, umwelt- und gesundheitsschädigenden atomaren und fossilen Energien.

Der Solarserver: Was entgegnen Sie dem gängigen Argument, dass Windkraft und Landschaftsschutz nicht miteinander vereinbar seien?
Andrea Ypsilanti: Ginge es der hessischen Landesregierung wirklich nur um eine sinnvolle Harmonisierung von Landschaftsschutz und Windkraftnutzung, dann hätte sie in ihrer Landesplanung schon längst Vorranggebiete für Windkraftstandorte in bereits belasteten Gebieten abmessen und ausweisen können. Längst hätte sie das topographisch geeignete Potenzial für neue Pumpspeicherwerke zur Speicherung von Wind- und Solarstrom erfassen lassen. Ginge es ihr ernsthaft um den Ausbau erneuerbarer Energien, so hätte sie längst eine eigene Vorbildrolle übernommen können und auf den Schulen und öffentlichen Einrichtungen des Landes zukunftsweisende Solardächer installieren lassen können, finanziert über das EEG. Aber die Blockadehaltung der Landesregierung zeigt, wie fadenscheinig die von ihr angegebenen Gründe für die Verlängerung der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke ist: Die Atomenergie sei unverzichtbar, weil die erneuerbaren Energien nicht ausreichen würden, um deren Leistung CO2-frei rechtzeitig ersetzen zu können. Diese Behauptung wird notorisch wiederholt, so dass sie auch viele glauben. Aber sie wird dadurch nicht wahr. Aber die Landesregierung hat alles getan, um zu verhindern, dass es überhaupt zur Entfaltung erneuerbarer Energien kommen konnte.

Der Solarserver: Welches Ziel verfolgt die hessische Landesregierung mit der gleichzeitigen Forderung nach Laufzeitverlängerungen für die Atomkraft und der Verhinderung von Windkraftanlagen?
Andrea Ypsilanti: Erst in den letzten Tagen hat es Umweltminister Dietzel öffentlich zugegeben. Bei der geforderten Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke geht es darum, mit Hilfe einer für 2009 ersehnten Bundesregierung aus Union und FDP dauerhaft auf Atomkraft zu setzen. Dazu passt auch, dass sich Herr Koch offen für den Neubau von Atomkraftwerken einsetzt. Wegen Ihrer Atomfixierung benimmt er sich technikfeindlich gegenüber erneuerbaren Energien – und damit auch mittelstands- und kommunalfeindlich. Die dezentrale Energiebereitstellung durch erneuerbare Energien widerspricht dem Weltbild Roland Kochs und der Stromkonzerne, die ihr Produzenten-Oligopol nur durch atomare und fossile Großkraftwerke aufrechterhalten können. Das ist der wahre Grund für das sture Festhalten am Bisherigen. Erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung eröffnen die Chance zur risikolosen Energiebereitstellung aus heimischen Quellen, für die Belebung der Regionalwirtschaft und für eine Renaissance der Stadtwerke und damit für viele neue Arbeitsplätze. Das ist unser Weg.

Der Solarserver: Welche Perspektive sehen Sie für die hessische Energiepolitik der nächsten Jahre?
Andrea Ypsilanti: Atomkraftwerke gehören ins Technikmuseum, und ihre politischen Patrone müssen abgewählt werden. Damit kommt Hessen wieder nach vorn. Das Jahr 2008 ist das energiepolitische Entscheidungsjahr. Dann wird Biblis abgeschaltet, wenn es nach geltendem Recht geht, der unserem politischen Willen entspricht. Die Beschäftigten in den Atommeilern brauchen keine Angst um ihre Arbeitsplätze zu haben. Ein stillgelegtes Atomkraftwerk muss noch viele weitere Jahre gewartet, überwacht und seine Entsorgung vorbereitet werden. Und mit dem Abschalten von Biblis steht die Abwahl der CDU-Landesregierung an. Denn es bedarf einer neuen Landespolitik, um die Springflut an Investitionen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu aktivieren, die ein neues Energiezeitalter ermöglicht. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die Sonne auch über Hessen scheint. Mit unserem Landesenergieprogramm wollen wir neue Arbeitsplätze und einen breiten wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land in Gang bringen und die unterdrückten Potentiale der erneuerbaren Energien nutzen.