Andrea Ypsilanti (SPD) über die Zukunft der Automobilindustrie: Preisschock an der Tankstelle unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit einer Abkehr von fossilen Kraftstoffen

„Die Automobilindustrie gehört zu den Schlüsselbranchen in Hessen mit einem hohen Beschäftigungspotential und großen Automobilherstellern wie Opel in Rüsselsheim und VW in Baunatal. Wir wollen und müssen diese Standorte sichern, gerade, weil das in den Zeiten der globalen Liberalisierung immer schwieriger geworden ist. Standorte sichern heißt dabei nicht nur, in der Produktivitätsentwicklung Schritt zu halten, sondern den Herausforderungen zu entsprechen, die auf die Automobilindustrie erwartbar zukommen. Es geht um „Die Zukunft der Automobilindustrie in Zeiten der Energiewende“. Sich auf diese nicht nur einstellen, sondern hierfür einen vorantreibenden Beitrag zu leisten, ist die Schlüsselfrage der Automobilindustrie.

Wir wissen heute – und jeder merkt es beim Preisschock an der Tankstelle: Das Erdöl als Kraftstoffressource nähert sich der Erschöpfungsgrenze. Für Erdgas gilt dasselbe. Gleichzeitig wächst der Bedarf nach Kraftstoffen mit der Folge, dass der fossile Kraftstoff immer teurer und zu einem sozialen Problem ersten Ranges wird. Wir wissen auch: die Klimagefahren spitzen sich ebenso zu wie die Umweltschäden durch fossile Energieemissionen, besonders in Ballungsräumen wie dem Rhein-Main-Gebiet. Das hat schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Menschen und die natürliche Umwelt – und damit die Lebensqualität aller.

Aus beidem ergeben sich unweigerliche Konsequenzen: Der Verbrauch fossiler Kraftstoffe muss nicht nur drastisch reduziert werden. Wir müssen auch zu Kraftstoffen kommen, die möglichst keine Umweltschäden mehr hervorrufen – und damit zum emissionsfreien Auto. Das ist nur mit erneuerbaren Energien möglich, aber keineswegs mit jeder erneuerbaren Energie.

Die Zukunft der Automobilindustrie ist also nicht nur verbrauchsarme Automobile anzubieten, sondern solche neuen Antriebstechniken, die mit den für das Ziel eines emissionsfreien Automobils geeigneten erneuerbaren Energien betrieben werden können. Wir müssen eine Technik – und eine Energiewahl nach diesen Kriterien vornehmen. Das ist eine technische und eine politische Herausforderung, die nur gemeinsam bewältigt werden kann.

Die Aufgabe der Automobilindustrie ist dabei die Entwicklung und die Produktion der Antriebstechniken. Die Aufgabe der Politik ist, die Bedingungen für die breite Markteinführung der dafür geeigneten Kraftstoffe zu schaffen. Nur so kann der gegenwärtige Teufelskreis verlassen werden, dass die Industrie die zukunftsfähigen Automobile nicht anbietet, weil der dafür notwendige Kraftstoff nicht überall zu kaufen ist, weshalb dann kaum einer so ein Auto fährt – und dass die zukunftsfähigen Kraftstoffe nicht überall angeboten werden, weil kaum dafür entwickelte Autos gefahren werden.

Die große Frage ist dabei, wie wir die Neuausrichtung des Automobil- und des Kraftstoffmarktes anschieben und trotzdem die Entwicklung offen halten können für noch bessere technische Möglichkeiten, um Kraftfahrer wie Automobilindustrie aus der Abhängigkeit von der Mineralölindustrie zu führen. Wir müssen weg vom Öl. Dazu brauchen wir eine politische Strategie, um die sich die Regierungen bisher gedrückt haben.

Die hessische SPD stellt sich dieser Herausforderung. Wir tun es mit unserer öffentlichen Stimme, mit unserer Einflussnahme auf die bundespolitischen Entscheidungen der SPD, und mit den landespolitischen Gestaltungsmöglichkeiten, wenn uns die Wählerinnen und Wähler am 27. Januar mit der Regierungsbildung beauftragen. Unser Programm „Neue Energie für Hessen“ bezieht sich nicht nur auf den Stromwechsel zu erneuerbaren Energien, sondern auch auf den Kraftstoffwechsel.

Unsere politische Leitlinien hin zum Automobil der Zukunft sind:

1. Wir brauchen eine Reform der Kraftstoffsteuer, die sich strikt an den Emissionsmengen der einzelnen Kraftstoffe orientiert – und zwar nicht allein den CO2-Emissionen, sondern auch an den weiteren Emissionen. Das macht die Kraftstoffe mit niedrigen Emissionen billiger und die mit höheren teurer – und wird den Automobilmarkt beeinflussen.

2. Bei den Biokraftstoffen müssen Impulse gegeben werden, die CO2-Bilanz zu verbessern. Steuermindernd muss dann ein Anbau– und Verwertungskonzept sein, wenn der Biokraftstoff ohne oder mit wenig Düngemittel auskommt und ohnehin anfallende biogene Reststoffe verwertet werden kann.

3. Dazu brauchen wir eine öffentliche Herkunfts- und Produktionszertifizierung. Derart zertifizierte Biokraftstoffe dürfen nur so hoch besteuert werden, dass sie billiger bleiben als fossile Kraftstoffe. Wir sind für einen Rein-Biokraftstoffmarkt, der regionale Wertschöpfung ermöglicht. Die Einführung von Biokraftstoffen nur über eine Beimischungspflicht halten wir für den falschen Weg, weil das die Biokraftstoffproduzenten in die Abhängigkeit von Mineralölkonzernen treibt.

4. Für Biokraftstoffe brauchen wir Mischkulturen, worauf unsere Agrarpolitik achten muss.

5. In der Strategie „Weg vom Öl“ wird das Elektromobil eine wachsende Rolle spielen. Voraussetzung ist, dass der Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Deshalb muss dieser gegenüber Atom- und Fossilstrom steuerlich begünstigt werden. Dasselbe gilt für Wasserstoff, der nur dann steuerlich begünstigt werden darf, wenn er mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird.

6. Die von uns geführte Landesregierung wird mit gutem Beispiel vorangehen und ihren Fahrzeugpark auf nichtfossile Antriebstechniken umstellen, um dadurch den Markt öffnen zu helfen.

7. Selbstverständlich bedeuten unsere Initiativen hin zum Nullemissionsauto nicht, dass sich darin unsere Verkehrspolitik erschöpft und wir den Autoverkehr damit vor den Schienenverkehr setzen.

Diese Konferenz wird herausarbeiten, welcher erneuerbare Kraftstoff – gemessen an den zuvor genannten Kriterien – der Vielversprechendste ist. Sie gibt damit auch Hinweise, welche Motoren wir dafür brauchen. Mehr noch: Sie wird aufzeigen, welchen Beitrag die Automobilindustrie als Massenproduzent von Motoren für die Energiewende insgesamt leisten kann. Jedes Automobil ist ein Kleinkraftwerk auf Rädern. Es ist auch als Kraftwerk nutzbar, wenn es nicht fährt.“