Die Landwirtschaft gilt in Deutschland als allmählich sterbender Wirtschaftssektor, so dass viele ihre künftige Rolle mehr in der Landschaftspflege als in der Produktion von Agrarprodukten sehen. Das anhaltende Betriebesterben und dabei die Schwierigkeiten bei der Betriebsübergabe an die nächste Generation zeigt, wie selbst innerhalb der betroffenen Berufsgruppe der Landwirtschaft keine große Zukunft mehr zugetraut wird. Dies steht jedoch im krassen Gegensatz zu der elementaren Erfordernis, dass die Landwirtschaft zu einer sogar tragenden Grundlage für die künftige Industriegesellschaft werden muss, über die Nahrungsmittelproduktion hinaus.
Der Grund dafür ist der historisch anstehende Wechsel von sich erschöpfenden fossilen zu dauerhaft verfügbaren erneuerbaren Ressourcen. Das betrifft nicht nur die künftige Energieversorgung eines Energiemixes aus allen erneuerbaren Energien, in dem die Bioenergie einen integralen Beitrag leisten muss insbesondere in der Stromerzeugung als Ergänzung zur Wind- und Solarkraft. Es betrifft auch die Grundstoffversorgung der chemischen Industrie, die heute zu nahezu 100% auf fossilen Kohlenwasserstoffen (davon Erdöl allein 90%) basiert und die künftig vollständig durch pflanzliche Kohlenwasserstoffe (also nachwachsende Rohstoffe) gestellt werden muss.
Entscheidend ist, wie die Landwirtschaftspolitik diesen Prozess gestaltet. Alles, was man anbaut (ob Nahrungsmittel, Energiepflanzen oder andere nachwachsende Rohstoffe) kann man in kurzsichtig unökologischer und damit schädlicher, oder in nachhaltiger Weise anbauen. Die Befürchtungen nehmen zu, dass problematische und zu Recht höchste umstrittene Anbaumethoden wie sie auch in der Nahrungsmittelproduktion vielfach weltweit praktiziert werden durch die Ausweitung der Bioenergienutzung potenziert werden. In der Kritik stehen insbesondere die Gefahren von Monokulturen, einer Flächenkonkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau, eines mit dem Bedarf an Bioenergie begründeten Drucks auf den Einsatz genveränderter Pflanzen und die der Rodung von tropischen Regenwäldern um Anbauflächen für Energiepflanzen zu gewinnen. Für alle diese Gefahren gibt es berechtigte Gründe.
Diese Gefahren sind aber bei einer richtig angelegten neuen Landwirtschaftspolitik vermeidbar. Mehr noch: das Ziel einer insgesamt nachhaltigen Agrarwirtschaft ist durch das neue Leitbild des Landwirts als Nahrungs-, Energie- und Rohstoffwirtes hin zu einer darauf ausgerichteten modernen Dreifelderwirtschaft leichter erreichbar, als durch eine Beschränkung der Landwirtschaft allein auf die Nahrungsmittelproduktion. Diesem Ziel dienen die neuen Eckpunkte für die neue Landwirtschaftspolitik in Hessen.
Zur Situation in Hessen
42 % der Gesamtfläche Hessens sind Landwirtschaftsfläche. Die landwirtschaftliche Flächennutzung liegt bei gegenwärtig 778.000 ha, davon Acker 476.000, Dauergrünland 282.000 ha. Während 1999 noch 29.700 Vollerwerbsbetriebe existierten, liegt die aktuelle Zahl bei 21.700. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft sank von 43.000 auf 36.000. Mit 27.500 ha für den Bioenergieanbau werden nur 3,5 % der Gesamtfläche für nachwachsende Rohstoffe auf Stilllegungsflächen und mit Energiepflanzenprämie eingesetzt.
Das landwirtschaftliche Betriebssterben muss dringend beendet werden. Der künftig unverzichtbare Beitrag der Landwirtschaft für eine gesicherte Energie- und Rohstoffversorgung setzt voraus, dass es noch genug landwirtschaftliche Betriebe zur Übernahme dieser praktischen Rolle gibt. Solche Betriebe neu aufzubauen, sobald der Bedarf unübersehbar geworden ist, mit den dafür notwendigen landwirtschaftlichen Berufserfahrungen ist wesentlich schwerer und kostspieliger als alle Bemühungen, die noch bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe zu erhalten und ihnen neue Möglichkeiten der Existenzsicherung und Produktionsausweitung zu öffnen. Der wichtigste und naheliegendste Schritt dafür ist die zügige Orientierung der Landwirtschaft nicht nur auf ihre Rolle als Bioenergie- und Biorohstoffproduzent, sondern auch auf Erneuerbare Energien wie der Windkraft.
Es geht dabei nicht nur um die Rolle der Landwirte als Produzenten von Agrarrohstoffen, sondern auch als potenzieller Stromproduzent auf den landwirtschaftlichen Flächen, von Biogasanlagen bis zu Windkraft- und Solaranlagen auf Freiflächen. Deshalb liegt der massive Widerstand der Landesregierung gegen die Windkraft nicht im landwirtschaftlichen Interesse. Mehr als 50% der installierten Windkraftanlagen in Deutschland (zusammen 21.000) wird von Landwirten betrieben. Sie leisten für diese einen wichtigen Beitrag zur Existenzsicherung der Betreibe, ohne dabei landwirtschaftliche Nutzfläche für Feldanbau und Weidewirtschaft zu verlieren. Die CDU-Landesregierung ist auch bei der Bioenergie ein Schlusslicht unter den Bundesländern.
Zwar versucht die Landesregierung ihren Widerstand gegen die Windkraft damit zu entschuldigen, dass sie das offiziell von der EU vorgegebene Mindestziel eines Anteils der Erneuerbaren Energien von 20% an der Energieversorgung mit Bioenergie erreichen will. Tatsächlich gehört sie aber auch auf dem Gebiet der Bioenergie zu den Schlusslichtern der deutschen Bundesländer und ist von ihr bisher auch keine politische Maßnahme genannt worden, mit der sie eine Ausweitung der Bioenergie vorantreiben will. Die Rolle Hessens als Schlusslicht in der Bioenergie belegt der offizielle Bericht der Bundesregierung der vom Leipziger Institut für Energetik und Umwelt erstellt wurde:
Die Eckpunkte einer zukunftsfähigen hessischen Landwirtschaftspolitik
1.Wir verfolgen die prinzipielle Zielsetzung einer Regionalisierung der Marktstrukturen. Regional erzeugte Produkte sollen innerhalb ihrer Region möglichst Marktvorrang bekommen. Das bedeutet die Förderung von Direktvermarktungsstrukturen zwischen Landwirtschaft, Lebensmittel- und Gastronomiebetrieben im Bereich der Nahrungsmittelerzeugung und verwertung, und es bedeutet die Förderung integrierter Formen der Nahrungs-, Energie- und Rohstofferzeugung in regionalen Kreisläufen, wobei die Verwertung der jeweiligen Rohstoffe als Zweit- oder Drittprodukt hohe Produktivitätszuwächse und Umweltvorteile sichert.
2.Zur Vermeidung von Flächenkonkurrenz fördert die neue Landesregierung den Anbau von Zwischenkulturen für eine zweite Aussaat und Ernte. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer ersten Ernte für Nahrungsmittel bei gleichzeitiger energetischer Nutzung der dabei anfallenden Reststoffe, sowie einer zweiten Ernte für Bioenergie und Rohstoffproduktion. Dieses ermöglicht den unmittelbaren Fruchtwechsel, was boden- und grundwasserschonend ist.
3.Für die Bioenergieerzeugung fördert die neue Landesregierung zur Vermeidung von Monokulturen den Anbau von Mischkulturen für den Einsatz in Biogasanlagen. Der Schwerpunkt der Bioenergieperspektive liegt bei Biogas, weil dieses mit Abstand die beste CO2-Bilanz hat und am besten geeignet ist, nahezu unterschiedslos alle organischen Stoffe zu verwerten einschließlich einer Integration der Abfallwirtschaft.
4.Um die Pflanzenvielfalt im Bereich der Energie- und Rohstoffpflanzen zu erhöhen, werden wir eine öffentliche Saatgutverwertungsbank einrichten. Damit ermöglichen wir den Einsatz zahlreicher zusätzlicher Nutzpflanzen, die nicht zu den Nahrungspflanzen gehören. Dieses Saatgut wird kostendeckend den Landwirten geliefert. Die hessischen Staatsdomänen werden in die Produktion der dafür besonders geeigneten Saatgüter einbezogen.
5.Der Anbau genveränderter Pflanzen wird von der neuen Landesregierung abgelehnt und alle rechtlichen Möglichkeiten zur rechtlichen Verhinderung dieser Entwicklung werden ausgeschöpft. Die mit genveränderten Pflanzen zwangsläufig verbundene Saatgutmonopolisierung liegt nicht im Interesse landwirtschaftlicher Betriebe. Stattdessen wird ein Forschungsprogramm für nachhaltige Nutzpflanzenökonomie gestartet, das auf die Verwertungsmöglichkeiten natürlicher Rohstoffe und Nahrungsmittelpflanzen ausgerichtet ist.
6.Für die hessische Land- und Forstwirteausbildung werden die Ausbildungsprogramme auf die integrierte Produktion von Nahrungsenergie und Rohstoffen orientiert, neben Fortbildungsangeboten für praktizierende Landwirte.
7.Wir fördern neue landwirtschaftliche Kooperationen für die energetische Verwertung agrarischer Stoffe, um damit die Verwertungs- und Vermarktungskette möglichst im Bereich der Landwirtschaft zu lassen. Gefördert werden auch entsprechende Kooperationen mit Stadtwerken.
8.Die Genehmigungsrichtlinien des Landes für Anlagen zur Bioenergie- und Rohstoffnutzung werden so umgestaltet, dass die kreislauforientierte Verwertung der dabei entstehenden Rohstoffe für Futter-, Dünge- und Energiezwecke im Vordergrund steht. Solche Anlagen erhalten Genehmigungsvorrang ebenso wie Anlagen einer kombinierten Nutzung erneuerbarer Energien in der Landwirtschaft etwa so genannte Hybridanlagen in Form einer Kombination von Windkraftanlagen und Stromproduktion aus Biogas um damit kontinuierlich Strom liefern zu können.
9.Die neue Landesregierung wird den öffentlichen Fuhrpark auf den Einsatz von Bioenergie oder anderen erneuerbaren Energien zügig umstellen um damit ein Beispiel zu setzen. Sie strebt die gesetzliche Verpflichtung an, dass alle Tankstellen des Landes eine Erdgas/Biogaszapfsäule erhalten.
10.Auf der Bundesebene wird die neue Landesregierung zwei Initiativen ergreifen: Zum einen für die Wiedereinführung einer steuerlichen Privilegierung von Biodiesel und Pflanzenöl gegenüber fossilen Kraftstoffen, um dem Reinbiokraftstoffmarkt Vorrang zu geben vor einer bloßen Beimischungspflicht in herkömmliche Kraftstoffe. Die auf dem Koch/Steinbrück-Papier zum Subventionsabbau basierende Beschluss der Bundesregierung zur ausschließlichen Biokraftstoffförderung über die Beimischungspflicht ist der falsche Weg, weil dieser den Mineralölkonzernen das Abnahmemonopol gegenüber den Landwirten gibt und der Trend zu beliebigen Importen von Agrarerzeugnissen fördert womit sowohl die agrarwirtschaftliche wie auch der Umweltvorteil der Bioenergie unterminiert wird.
Zum anderen werden wir eine Bundesratsinitiative zur unverzüglichen Einführung einer Zertifizierung der Anbaukonzepte für Bioenergie und Rohstoffe nach nachhaltigen Anbaukriterien starten, die Voraussetzung für die Förderung der energetischen Nutzung von Energiepflanzen nach dem EEG und von Steuerprivilegierungen im Biokraftstoffsektor sein muss. Ein Ausbau der Bioenergie überwiegend auf der Basis von Importen ist kein akzeptabler Weg und führt den Bioenergieansatz auf Abwege.