Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): CDU und FDP geben keine Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft

Der von CDU und FDP vorgelegte Koalitionsvertrag gibt nach Ansicht des Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Thorsten Schäfer-Gümbel, keine Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. „Postengeschacher und die Wiedergeburt des abgewirtschafteten Neoliberalismus sind der Kitt, der diese Koalition zusammenhält. Viel Wortgeklingel in der Vereinbarung kann nicht davon ablenken, dass Schwarzgelb für wesentliche Probleme des Landes keine brauchbaren Antworten liefert“, sagte Schäfer-Gümbel am Montag in Wiesbaden.

Als Hohn bezeichnete Schäfer-Gümbel die Ursachenbeschreibung der Koalitionäre für die größte Finanz- und Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: „Nicht die Freiheit hat versagt, sondern die mangelnde Verantwortung Einzelner beim Gebrauch der Freiheit hat die Krise herbeigeführt.“ „Damit versuchen die Prediger des Neoliberalismus und der Deregulierung von ihrer eigenen Beteiligung und Mitverantwortung abzulenken.“

Die erste Einschätzung vom vergangenen Freitag habe sich auch in der ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Vertrag bestätigt: „Diese Regierung startet ohne Innovation, ohne Ambition und ohne Ziele. Die richtige Überschrift über dem Koalitionsvertrag wäre: Verwalten statt gestalten.“

Der Koalitionsvertrag beantworte nicht, wie die soziale Auslese an den Schulen beendet werde, wie das soziale Netz neu geknüpft werde und wie die Energiewende vorankomme. „Diese Regierung ist den Herausforderungen der Zeit nicht gewachsen. Der bleibende Eindruck ist, dass dieser Koalitionsvertrag unter dem Druck der anstehenden Personalentscheidungen hastig zusammengeschustert worden ist.“

Bildungspolitik ohne neuen Geist

Die Bildungspolitik „atmet keinen neuen Geist“, so Schäfer-Gümbel. Im Grunde sei hier ein schlichtes „weiter so“ vereinbart worden. „Aus den Befunden der PISA-Studien, die insbesondere die soziale Abhängigkeit der Bildung augenfällig beschrieben haben, werden nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. Chancengleichheit – unabhängig vom Elternhaus – bleibt für hessische Kinder ein fernes Ziel.“ Auslese und das Einteilen in Schubladen werde weiter vorangetrieben. „Nicht das längere gemeinsame Lernen wird gestärkt, ein Umdenken findet nicht statt“.

An der missratenen Einführung von G8 würden keine grundlegenden Änderungen vorgesehen, ebenso wenig in den anderen schulpolitischen Feldern. So stehe zwar die Absicht im Vertrag, die Ganztagsschulen auszubauen, klare Schritte seien aber nicht definiert.

Die künftige Lehrerzuweisung von 105 Prozent orientiere sich am rotgrünen Koalitionsvertrag ebenso wie der Entfall der so genannten Sternchenregelung ab Schuljahresbeginn 2009/2010 für die neu zu bildenden Klassen. „Mehr Lehrerinnen und Lehrer sind gut und richtig – allein sie machen noch keine neue Schulpolitik aus.“

Die Kinderschule der FDP finde sich im Koalitionsvertrag nicht mehr. Die Ausgestaltung des letzten Kindergartenjahrs als Schulvorbereitungsjahr drohe als fauler Kompromiss zu enden, der aber niemanden zufrieden stelle.

Sozialpolitik auf dem Abstellgleis

Mit der Operation „Düstere Zukunft“ habe die CDU die Sozialpolitik auf ein Abstellgleis geschoben und „dort solle sie auch in den kommenden Jahren vor sich hinrosten“, kritisierte der SPD-Fraktionsvorsitzende. „Das soziale Netz in Hessen hängt in Fetzen und so soll es offenbar auch bleiben.“ Keine Aussage gebe es zu einer gestaltenden Landessozialpolitik: „Erziehungsberatung, Schuldnerberatung, Frauenhäuser etc. kommen im Koalitionsvertrag nicht vor.“

Bei der Arbeitsmarktpolitik seien keinerlei neue Ansätze erkennbar. Die angekündigte Evaluation der Betreuung von Langzeitarbeitlosen unter Beteiligung von ARGEN und Optionskommunen sei überfällig.

Insbesondere der so genannten Altbewerberproblematik – Jugendliche, die in den vergangenen Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben – widme sich die Koalition überhaupt nicht.

Zu Fragen des Schutzes von Arbeitnehmern schweige sich der Koalitionsvertrag völlig aus: „Mindestlohn, Kündigungsschutz, Regulierung der Leiharbeit, Bekämpfung des Lohndumpings und Durchsetzung der Tariftreue sind CDU und FDP nicht einmal eine Erwähnung wert.“ Folgerichtig würden auch weder die einstmals angekündigte Gründung einer landeseigenen Sicherheitsgesellschaft am Frankfurter Flughafen oder die angemessene Bezahlung bei den Bodenverkehrsdiensten aufgegriffen. „Hier stehlen sich CDU und FDP aus der Verantwortung.“

Bei der Politik für Frauen, Familien, Jugendliche und Senioren herrsche weitgehend Fehlanzeige. „Neun Jahre Konzeptionslosigkeit werden einfach fortgeschrieben“. Dem Pilotprojekt „Betreuungsgutscheine“ begegne die SPD mit großer Skepsis.

Chance zur Energiewende verpasst

Die Umweltpolitik bleibe rückwärtsgewandt und ergreife die Chancen der Energiewende nicht. „Wer einerseits Nachhaltigkeit preist und auf der anderen Seite an der Atomkraft und fossilen Großkraftwerken festhält, führt sich selbst ad absurdum.“

Wenn die künftige Koalition die Fortsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie ankündige, verspreche sie nicht zuviel. „Bislang ist nichts passiert, künftig soll nichts passieren. Die Fortsetzung von Nichtstun ist Nichtstun“.

Die Vereinbarungen zur Energieversorgung seien ein eindeutiger Schritt hinter das zurück, was vor dem Hintergrund der weltweiten Umwelt- und Klimaschutzdiskussion dringend geboten sei. Die weitere Nutzung von Biblis A und B widerspreche den zwischen Politik und Wirtschaft getroffenen Vereinbarungen und folge einzig dem Gewinnstreben der Betreiberin RWE.

Die Zielvorgabe des Koalitionsvertrages von 20 Prozent Erneuerbaren Energien bis 2020 sei lediglich das, was die CDU bisher als Zielvorgabe hatte. „Und damit hat es Hessen gerade einmal ans Ende des Bundesländerrankings geschafft.“

Perfekt eingepasst in diese rückschrittliche Energiepolitik gestalte sich die Ankündigung, den Ausbau des Kohlekraftwerks Staudinger durchzudrücken. „Die angebliche Ergebnisoffenheit des Verfahrens ist wenig glaubhaft.“

Finanzpolitik bleibt windig und wirr

Die angekündigte Finanzpolitik könne man freundlich als „inkonsistent“ bezeichnen, oder – weniger freundlich – mit dem schon klassischen FAZ-Zitat „sprunghaft, windig und wirr“. „Wer in einem Atemzug 4 Milliarden zusätzliche Schulden, eine neue Schuldenbremse in der Verfassung, die Begrenzung des Zuwachses der konsumtiven Ausgaben auf 0,5 Prozent, den Verkauf von LEO III und das Eintreten für niedrigere Steuern ankündigt, beweist nur eines, nämlich Orientierungslosigkeit“, so Schäfer-Gümbel. Die CDU-geführte Landesregierung habe in der Vergangenheit Schulden gemacht, wie keine Regierung vor ihr, und dabei fünfmal in Folge die Verfassungsgrenze überschritten. Die vom Finanzplanungsrat vorgegebene Begrenzung der Ausgabenzuwächse sei ebenfalls regelmäßig überschritten worden. „Wenn ausgerechnet diese CDU jetzt eine neue Verfassungsgrenze und die Begrenzung der Ausgabenzuwächse auf 0,5 Prozent fordert, ist das im höchsten Maße lächerlich.“ Allein der Verkauf von LEO III führe zu rund 30 Millionen Euro zusätzlichen Mietausgaben des Landes pro Jahr. „Schon damit ist der Spielraum von 0,5 Prozent bei den sächlichen Ausgaben für vier Jahre aufgezehrt.“

Angesichts der Haushaltslage sei absehbar, dass eine CDU/FDP-Regierung auch noch das restliche „Tafelsilber“ des Landes verkaufen werde. „Insbesondere der Wohnungsbestand wird, sobald es die Marktlage zulässt, verkauft werden. Das ist eine Bedrohung für zehntausende von Mieterinnen und Mietern.

Die Beschäftigten des Landes müssten auch künftig die Zeche für die verfehlte Finanzpolitik der CDU-geführten Landesregierung zahlen. „Es bleibt bei der 42-Stunden-Woche. Es bleibt bei der Insel-Lösung für die Tarifbeschäftigten. Mehrere tausend Arbeitsplätze in der allgemeinen Verwaltung werden abgebaut. Die Personalpolitik nach Gutherrenart bleibt Markenzeichen von CDU und FDP:“

Der Satz in der Koalitionsvereinbarung, „Die Neue Verwaltungssteuerung (NVS) werden wir zielgerichtet zu einem effizienten Steuerungs- und Controllinginstrument weiterentwickeln“, sei ein bemerkenswertes Eingeständnis des Scheiterns. „Der Satz heißt, die NVS ist bis heute kein effizientes Steuerungs- und Controllinginstrument. Das ist leider wahr. Wahr ist aber auch, dass die NVS über eine halbe Milliarde Euro verschlungen hat, ohne dafür einen erkennbaren Nutzen gebracht zu haben. Hier feiert neoliberale Ideologie – Hessen wie einen Konzern zu führen – fröhliche Urständ.“ Allerdings scheue man die Konsequenz dieser Haltung, wenn sie eigenes Unvermögen belege, so solle die bereits für 2008 angekündigte, dann auf 2009 verschobene Eröffnungsbilanz des Landes jetzt erst 2010 vorgelegt werden.

Wirtschaftspolitik in Beton gegossen

In der Wirtschaftspolitik beschränke sich die Koalition weitgehend auf Infrastrukturprojekte. „Allein eine in Beton gegossene Wirtschaftspolitik ist für ein modernes Land zu wenig“, sagte Schäfer-Gümbel. Nach neun Jahren des Scheiterns – von der A44 über die A49 bis zum Ausbau des Flughafens, dessen neue Landebahn schon vor Jahren in Betrieb gehen sollte – seien die Ankündigungen zum Ausbau der Infrastruktur „sehr ambitioniert“. „Die meisten dieser Projekte stoßen auf unsere Zustimmung, aber leider hat die Regierung Koch jahrelang gezeigt, das sie schlicht unfähig ist, gerichtsfeste Planungen vorzulegen. Hier besteht höchste Handlungsbedarf.“

Die Ankündigung, für das jahrelang versprochene Nachtflugverbot „keinen Finger mehr krumm zu machen“, sei eine große Enttäuschung für die betroffenen Anlieger. „Die Mediation hat den Weg des Ausgleichs gewiesen. CDU und FDP haben ihn mutwillig verlassen und ignorieren die klaren Aussage des Verwaltungsgerichtshofs dazu.“

Die Verschmelzung von Landestreuhandanstalt und Investitionsbank nannte Schäfer-Gümbel „halbherzig“, solange die Hessenagentur weiterhin für die nichtmonetäre Förderung zuständig sei. „Die Hessenagentur dient nicht in erster Linie der hessischen Wirtschaft, sondern der Imagepflege der Landesregierung.“

Ansonsten bewege sich der Koalitionsvertrag weitgehend im Nebulösen. So bleibe zum Beispiel völlig unklar, was beispielsweise unter der Optimierung der Sparkassenlandschaft im Rhein-Main-Gebiet zu verstehe sei.

Personalmangel bei Polizei und Justiz bleibt

Zur Innen- und Rechtspolitik sei vor allem festzustellen, dass die bestehenden Personalprobleme in beiden Bereichen nicht gelöst würden. „Mit der Einstellung von 550 neuen Polizeianwärtern werden gerade einmal 150 mehr Anwärter eingestellt, als aufgrund der normalen Fluktuation benötigt. Damit wird der Personalmangel bei der Polizei nicht behoben.“ Vielmehr setze die künftige Landesregierung weiterhin auf Billiglösungen wie den „Freiwilligen Polizeidienst“. Im Bereich der Jusitz blende die Koalition ebenfalls die Notwendigkeit einer personellen Verstärkung aus.