Nachfolgend geben wir Ihnen einen offenen Brief, den der SPD-Fraktionsvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel heute an den Hessischen Ministerpräsidenten zur bevorstehenden Sitzung des ZDF-Verwaltungsrates geschrieben hat, zur Kenntnis.
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
am morgigen Freitag entscheiden Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen im Verwaltungsrat des ZDF unter anderem über die Vertragsverlängerung des Chefredakteurs Nikolaus Brender.
Wie wir vielen Presseveröffentlichungen der letzten Tage entnehmen konnten, haben Sie eine parteipolitische, konservative Mehrheit gegen dieses Ansinnen organisiert, obgleich Intendant Markus Schächter sich eine weitere längere Zusammenarbeit mit Herrn Brender in seiner jetzigen Position wünscht. Dabei ist er nicht allein viele Menschen in unserem Lande schätzen die Arbeit von Herrn Brender im und für das ZDF sehr, ich auch.
Die journalistische Unabhängigkeit und das freie Wort sind hohe Güter in unserem Lande. Wir sollten sie hegen und pflegen, auch wenn einem der eine oder andere Bericht und mancher Kommentar nicht behagt. Das gehört zu einer lebendigen, freiheitlichen Demokratie dazu, ja ist geradezu konstitutiv für sie. Was wären wir ohne Journalistinnen und Journalisten, die auch in schwierigen Zeiten Rückgrat beweisen, nachfragen, nachbohren, dran bleiben, loben, kritisieren, den Menschen die politischen Vorgänge erklären und am Ende des Tages auch ihre Meinung sagen. Wir wären eine armselige, graue Republik.
Sie können gerne im Verwaltungsrat des ZDF über die Angebotspalette des Senders, dessen Reichweite und auch über wirtschaftliche Fragen diskutieren aber Sie sollten nicht mit Ihrer derzeitigen politischen Macht und Mehrheit im Rücken ein politisches Exempel statuieren. Das würde uns insgesamt schaden, das würde dem ZDF, ja das würde dem gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaden. Es gibt ohnehin ein Bild, dass Politik die öffentlich-rechtlichen Medien lenkt. Das ist aber nicht der Auftrag von Politik, unser Auftrag im Sinne eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist aber Kontrolle. Mit dem neuerlichen Versuch einen unabhängigen und ausgewiesenen Journalisten los zu werden, stellen Sie sich in eine gefährliche Nähe der Medienpolitik eines Silvio Berlusconi. Wir wollen in Deutschland kein Staatsfernsehen!
Die Zeiten ändern sich. Und Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. Heute haben Sie und Ihre politischen Freunde bundesweit die Mehrheit, morgen wollen wir wieder das Vertrauen der Mehrheit in unserem Lande gewinnen und regieren. Nach meiner Auffassung sollten sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie im übrigen alle Redaktionen – nicht den jeweiligen politischen Verhältnissen anpassen sondern souverän und eigenständig agieren in Beobachtung, Prüfung, Zustimmung und Kritik dessen, was wir in der Politik machen oder lassen.
Hanns Joachim Friedrichs hat am 27. März 1995 im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL einen Satz geprägt, der auch für uns, die wir nicht gemeint waren, handlungsleitend sein könnte: Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.
In diesem Sinne wünsche ich gute Beratungen im Sinne eines unabhängigen Journalismus am morgigen Tag beim ZDF. Ich kündige bereits heute an, dass unabhängig vom Ausgang dieser Entscheidung eine Grundsatzdebatte zur Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens notwendig ist.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Schäfer-Gümbel
Fraktionsvorsitzender