Tatsache sei nun mal, dass in manchen Betrieben Zeitarbeitskräfte inzwischen 45 Prozent der Belegschaft ausmachten mit steigender Tendenz, so Fuhrmann. Tatsache sei auch, dass Zeitarbeit früher ein Instrument gewesen – und als solches auch gedacht sei, um Auftragsspitzen abzudecken. Heute aber würden unsichere Beschäftigungsverhältnisse zu Lasten von Festanstellungen mehr und mehr die Regel, weil Zeitarbeit zunehmend strategisch genutzt werde, um Personalkosten zu senken. Leider seien Niedriglöhne für Beschäftigte in der Leiharbeit Normalität. Bei gleicher Qualifikation und gleichen Aufgaben erhielten sie durchschnittlich 20 bis 40 Prozent weniger Gehalt als die Beschäftigten in Festanstellung. Der Grundsatz der Gleichbehandlung gelte nicht und die im Gesetz vorgesehene Ausnahmeklausel sei längst die Regel, denn bei 95 Prozent aller Leiharbeitnehmer werde die Ausnahme angewandt.
Fakt sei auch, dass 60 Prozent der männlichen und 95 Prozent der weiblichen Zeitarbeitnehmer über ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 1.500 Euro im Monat verfügten und die Mehrheit zusätzlich Hartz IV beziehen müssten. Dies verursache Kosten für den Bund pro Jahr in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro bei der Grundsicherung. Auch das müsse, so Fuhrmann, gesehen werden, wenn man den Boom nicht nur durch die rosarote Brille der schwarz-gelben Landesregierung betrachte. Leiharbeit sei gerade für Geringqualifizierte und für diejenigen, die einen Berufsabschluss hätten – und das seien immerhin über 60 Prozent -, aber für Tätigkeiten eingesetzt würden, die nicht ihrem Berufsabschluss entsprächen, die dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt erschwere. Leiharbeit sei für die meisten Arbeitssuchenden keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sondern eine Sackgasse. Der gewünschte Klebeeffekt sei derzeit reine Ideologie. Nur acht Prozent aller zuvor Arbeitslosen fänden nach dem Leiharbeitsverhältnis eine feste Stelle. Für 80 Prozent sei es der Start in eine Zeitarbeitskarriere, in der sich nur Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Zeitarbeit abwechselten.
Auch die Liste der Missbräuche in der Leiharbeit sei extrem lang:
· Aushebelung von Tarifverträgen durch die Gründung eigener Zeitarbeitsunternehmen (z. B. in Krankenhäusern, in der Chemieindustrie oder der Automobilindustrie);
· Nichtbeachtung von Kündigungsfristen,
· Lohndrückerei durch niedrigere Eingruppierung;
· Vorenthalten von Urlaubstagen
All diese Fakten können wir nicht einfach unter den Teppich kehren. Mit Verharmlosungen oder Ausreden á la Schlecker kann es nicht weiter gehen, so Fuhrmann. Es sei auch nicht damit getan, wie es Frau von der Leyen vorschwebe, ein paar kleine Schlupflöcher zu schließen. Der Gesetzgeber sei gefordert der Bund wie die Länder – durch mehr Regulierung, dem Missbrauch einen Riegel vorzuschieben. Deregulierung auf dem Rücken der Beschäftigten müsse ein Ende haben.
Fuhrmann forderte die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu starten. Wir wollen kein Schleckerland sein, sondern ein Land, in dem Leiharbeit fair geregelt wird, in dem der Grundsatz gleiches Geld für gleiche Arbeit nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch tatsächlich nach einer kurzen Einarbeitungszeit – umgesetzt wird ohne Ausnahmemöglichkeiten, in dem die Einhaltung der Tarifverträge überwacht und Unternehmen bei Verstößen sanktioniert werden, in dem Leiharbeitnehmer nicht als Beschäftigte 2. Klasse behandelt werden und in dem die Leiharbeitnehmer von ihrem Lohn leben können.
Fuhrmann schlug vor, die Leiharbeitsbranche in das Entsendegesetz aufzunehmen. Damit würden tarifvertragliche Mindestlöhne für alle Arbeitsverhältnisse der Leiharbeitsbranche verbindlich festgesetzt. Außerdem solle eine Begrenzung der konzerninternen Verleihung durch eigene Zeitarbeitsfirmen erfolgen. Die Betriebsräte in den Entleihbetrieben sollten mehr Mitbestimmungsrechte erhalten hinsichtlich der Kontrolle des ordnungsgemäßen Einsatzes von Leiharbeitern und des Umfangs und der Dauer der Leiharbeit.
Fuhrmann: Leiharbeit ist ein sinnvolles Instrument, wenn es in seiner Kernfunktion, vor allem der kurzfristigen Bewältigung von Auftragsspitzen, eingesetzt wird. Aber die Menschen, die in der Leiharbeit einen Job finden, brauchen auch Perspektiven, Planbarkeit und Sicherheit für ihr Leben. Leiharbeit muss eine wirkliche Brücke in den Arbeitsmarkt sein und darf nicht zur Dauerbeschäftigung unter Dumpinglöhnen verkommen. Bund und Länder seien gefordert, hier Grenzen zu setzen.