Netzsperren müssen weg – Strategie gegen Kinderpornografie

Für die SPD-Landtagsfraktion stehe fest: Zur Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet müsse „löschen statt sperren“ gelten. „Es ist gut, dass Frau von der Leyen jetzt den Irrweg des Netzsperrengesetzes einsieht. Nun muss ein neues Gesetz vorgelegt werden, das neue Maßnahmen der Prävention in den Vordergrund stellt. Geht der Betroffene jedoch nicht darauf ein, so muss er mit härterer Strafe als heute rechnen“, sagten heute die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Nancy Faeser und der medienpolitische Sprecher, Michael Siebel, im Nachgang zu einer SPD-Expertenanhörung zu Netzsperren am 21. Januar 2010.

Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und FDP nach der Bundestagswahl 2009 die Aussetzung beziehungsweise die Nichtanwendung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen angekündigt. Ein Gesetz für ein Jahr nicht anwenden zu wollen, sei jedoch mit dem Rechtstaatsprinzip (Gesetzesbindung der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar. „Das ist abenteuerlich“, kritisierte Siebel. „Ganz egal, was Schwarz-Gelb in Hessen oder in Berlin anpacken, sie können es einfach nicht.“ Die populistischen Stoppschildvorschläge von Frau von der Leyen und die offensichtlich rechtswidrigen Sperrverträgen des BKA mit fünf deutschen Providern hätten die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag bewogen, sich intensiv mit dem Thema Internetsperren auseinanderzusetzen.

„Alle Sachverständigen haben einhellig für ein `Löschen vor Sperren´ plädiert“, bilanzierte Siebel die Anhörung. Netzsperren würden Kinder nicht vor Missbrauch schützen, seien für die Bekämpfung von Kinderpornografie ineffektiv und griffen in die Grundrechte ein. Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag habe deshalb bereits Ende Dezember 2009 gefordert, das Sperrgesetz für Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten ersatzlos zu streichen. Diesen Vorschlag unterstütze die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag.

Details zur SPD-Anhörung:

Um sich über die Effektivität von Netzsperren im Internet zur Bekämpfung von Kinderpornographie zu informieren, hatte die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag am 21. Januar 2010 zur Expertenanhörung im Hessischen Landtag eingeladen. „Wir wollten erfahren, ob Netzsperren den Zugang zu Internetseiten mit kinderpornographischen oder in anderer Weise strafrechtlich relevanten Inhalten dauerhaft verhindern oder gar erschweren und welche Präventionsmaßnahmen es zur Bekämpfung von Kinderpornographie gibt“, so Siebel und Faeser.

Beeindruckend sei die Darstellung der Funktion der Internetbeschwerdestellen, die vom Verband der Internetwirtschaft (www.eco.de) und der europäischen Koordinationsstelle INHOPE (www.inhope.org) vorgestellt wurden. „Jeder Internetnutzer, der auf strafrechtlich relevante Inhalte stößt, kann diese jederzeit kostenlos und anonym im Internet unter www.internet-beschwerdestelle.de melden“, sagte Siebel. 40 Prozent der gemeldeten Inhalte an die Beschwerdestellen von INHOPE waren rechtswidrig, davon betrafen 45 Prozent kinderpornografische Inhalte. „Wir wollen jetzt in einer parlamentarischen Anfrage von der Hessischen Landesregierung erfahren, wie oft den Strafverfolgungsbehörden in Hessen in den vergangenen zehn Jahren solche Fälle von den Beschwerdestellen gemeldet wurden und welche dieser Beschwerden in welchem Zeitraum zur Anzeige gebracht wurde“, sagte Faeser.

Alle Experten hätten darauf hingewiesen, dass Kinderpornografie mittlerweile ausschließlich über Peer-to-Peer (P2P)- Börsen getauscht werde, wobei ein Trend Richtung Mobilfunk verzeichnet würde. Kinderpornografische Inhalte auf frei zugänglichen Webseiten im Internet seien dagegen eher die Ausnahme. „Fakt ist, dass wir mehr verdeckte Ermittler für Tauschbörsen brauchen“, stellte Faeser fest. Strafverfolgungsbehörden müssten sowohl personell als auch technisch besser ausgestattet und besser ausgebildet werden. Außerdem müsse es eine Fortbildungspflicht für Richter zu diesem Thema geben. In diesem Zusammenhang stelle sich auch die Frage nach der Höhe des Strafmaßes. „In der Regel erfolgt nur eine geringe Geldstrafe und das ist für einen Kinderpornografiekonsumenten keine wirklich abschreckende Strafe.“

Die Verbreitung von Kinderpornografie sei ein internationales Delikt. Die Auswertung europäischer Sperrliste habe ergeben, dass die meisten Server mit kinderpornografischen Inhalten in den USA stehen. Deutschland liege nach dieser Auswertung bereits an dritter Stelle. Da in den meisten Fällen Rechtshilfeverfahren benötigt würden, sei eine Koordinierungsstelle beim BKA sinnvoll. Problematisch sei, dass Provider oft erst nach Wochen von den Behörden benachrichtigt würden, wenn in ihren Rechenzentren kinderpornografisches Material gehostet werde. Strafrechtlich relevante Inhalte länger als notwendig im Netz zu dulden sei jedoch für die Opfer des Missbrauchs „unerträglich und empörend“, betonte Faeser. Oberstes Ziel müsse deshalb die umgehende Herausnahme solcher Inhalte aus dem Internet sein. Es reiche aus, wenn eine strafrechtlich relevante Seite für die Dauer des Rechtshilfeverfahrens lediglich für die Strafermittlungsbehörden erreichbar bleibe. „Unser Ziel ist, kinderpornografische Angebote, wie dies bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität bereits heute möglich ist, binnen Stunden oder weniger Tage zu löschen und strafrechtlich hart zu verfolgen.“

Intensiv setzten sich die Abgeordneten der SPD-Fraktion mit der Studie „Prävention von Kinderpornografiekonsum im Dunkelfeld“ von Professor Dr. Klaus M. Beier vom Institut für Sexualwissenschaft an der Charité in Berlin auseinander: In dem bundesweit einmaligen Projekt kam es von 2009 bis 2010 zu knapp 1000 Kontaktaufnahmen mit 408 klinischen Interviews und 212 Therapieangeboten. „Kinderpornografischen Darstellungen geht immer sexueller Kindesmissbrauch voraus“, sagte Siebel. Neben einer Gesamtstrategie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung brauche es auch einer Änderung der Begrifflichkeit. „Kinderpornografie ist gefilmter Missbrauch. Die Gleichsetzung mit Erwachsenenpornografie bagatellisiert nur eine schlimme Straftat“, stellte der Medienpolitiker klar. Der Modellversuch an der Charité betreue Klienten aus dem gesamten Bundesgebiet. „Wir brauchen regionale Präventionsprogramme und Anlaufstellen, bevor jemand Täter wird“, forderte Faeser. Die Präferenzstörung sei ein rein männliches Krankheitsbild und beginne im Jugendalter mit 12-13 Jahren und bleibe bis zum Lebensende erhalten. Die meisten Klienten der Studie hatten bereits im Alter von 20-22 Jahren ein erstes Problembewusstsein betreffend ihre sexuelle Neigung. Zirka 50 Prozent der Betroffenen berichtete, dass sie sich in ihrem sozialen Umfeld Bezugspersonen anvertraut hatten. „Täter, die Übergriffe begangen hatten, hatten laut Professor Beier eine äußerst geringe Opferempathie“, berichtete Faeser. Ziel des Angebots sei, präventiv auf Kinderpornografiekonsumenten einzuwirken, um Straftaten zu verhindern.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik Deutschland verzeichnete im Jahr 1996 663 Fälle wegen Besitz, Verschaffung und Verbreitung von Kinderpornografie. Im Jahr 2007 seien es bereits 8832 Fälle gewesen. Laut Internet Watch Foundation habe es im Jahr 2007 täglich ca. 300.000 bis 450.000 Zugriffe auf Kinderpornografieseiten gegeben. Aktuell seien zirka fünf Millionen Bilder im Umlauf. Jede Woche kämen mehrere 10 000 neue Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs hinzu. „Wir wollten den heutigen `Safer Internet Day 2010´ nutzen, um das Thema Sicherheit im Internet mit diesem Thema bewusst in den Fokus zu rücken“, betonte Siebel. Ziel der Anhörung sei auch, auf die Initiative an der Charité „Kein Täter werden. Auch nicht im Netz“, aufmerksam zu machen. Das Projekt bietet eine kostenlose Hilfe unter Schweigepflicht an.

Experten auf dem Podium:

• Fritz-Uwe Hofmann, Leiter politische Interessensvertretung Deutsche Telekom AG
• Prof. Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender eco (Verband der Deutschen Internetwirtschaft)
• Frank Ackermann, Vizepräsident INHOPE (International Association of Internet Hotlines)
• Alvar Freude, Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)
• Dr. Murad Erdemir, Justitiar LPR Hessen
• Prof. Klaus M. Beier, Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Charité Berlin und Leiter des Forschungsprojektes „Prävention von Kinderpornografiekonsum im Dunkelfeld“

Schriftliche Stellungnahmen:

• Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, Hessischer Datenschutzbeauftragter • Stellungnahme der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag