Schuldenbremse ist kein Selbstzweck

Thorsten Schäfer-Gümbel und Gernot Grumbach mit Prof. Dr. Bofinger (Mitte)

Eine "insgesamt erfreuliche" Zwischenbilanz hat die SPD-Fraktion bei ihrer Frühlingsklausur in Weimar nach etwas mehr als einem Jahr Arbeit in der 18. Legislaturperiode gezogen. "Die SPD-Landtagsfraktion hat sich – schneller als viele erwartet haben – als Motor der inhaltlichen Debatte in vielen Bereichen etabliert. Unsere strategische Festlegung, die wir vor einem Jahr als ‚Prinzip der Sachlichkeit‘ formuliert haben, trägt", sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel am Donnerstag in Wiesbaden.

"Die ernsthafte Befassung mit den landespolitischen Themen hebt sich ab vom rein taktischen, zumeist parteitaktischen Umgang mit den Inhalten, wie ihn vor allem die Regierungsfraktionen pflegen. Die SPD-Fraktion hat sich konsolidiert. Wir arbeiten stabil und verlässlich. Wir werden unserer Rolle gerecht: Bei der Kontrolle der Regierung, bei der Entwicklung neuer Initiativen und dem Aufzeigen von Alternativen zur Regierungspolitik. Wir haben unseren eigenen Stil gefunden", sagte Schäfer-Gümbel.

In vielen Bereichen verstehe sich die SPD-Fraktion als Schrittmacher der Diskussion. "Wir treiben die ausgebrannte Regierung Koch, deren Amtsmüdigkeit wie ein Schleier über Hessen liegt." Schäfer-Gümbel nannte in diesem Zusammenhang den Gesetzentwurf für den Vorrang Erneuerbarer Energien, den Gesetzentwurf zur Zusammenführung des öffentlichen und privaten Datenschutzes, die konsequente bildungspolitische Positionierung durch das "Haus der Bildung", die Konzepte für den Ländlichen Raum und die Stärkung des Mittelstands, die Enquetekommission Integration oder – als neueste Initiative – die Schaffung eine Landespolizeibeauftragten. Daneben betreibe die SPD-Fraktion mit der Einsetzung der Untersuchungsausschüsse zum Mobbingskandal und zur Polizeichef-Affäre konsequent die Aufklärung der Skandale und Affären der Landesregierung, die nach einem Jahr in das alte Muster der "Arroganz der Macht" zurückgefallen sei.

Schuldenbremse kein Selbstzweck

Ein Schwerpunkt der Fraktionsklausur sei die künftige Finanzpolitik im Zeichen der ab 2020 geltenden Schuldenbremse gewesen. Dazu hatte die Fraktion mit Prof. Dr. Peter Bofinger einen der wichtigsten deutschen Ökonomen eingeladen, der als Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu den "fünf Wirtschaftweisen" gehört. "Sein Credo lautet, dass die Schuldenbremse nicht in den Minimalstaat führen darf – und diese Ansicht teilt die SPD-Landtagsfraktion", so Schäfer-Gümbel.

Der Fraktionsvorsitzende hielt der Landesregierung vor, keine konsistente Linie in der Finanzpolitik zu verfolgen. "Der Rollenwechsel – gestern Schuldenbaron, morgen Sparkommissar – ist nicht glaubwürdig." Mit ihrer Zustimmung zum so genannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Land und Kommunen in Hessen innerhalb von vier Jahren 1,14 Mrd. Euro koste, habe die Landesregierung die finanzpolitische Situation drastisch verschärft. Die aktuelle Steuerschätzung werde Prognosen der Landesregierung für die kommenden Jahre erneut zur Makulatur machen.

Die Schuldenbremse könne kein Selbstzweck sein, sagte der Sozialdemokrat. "Die Landesregierung drückt sich bislang um die Antwort auf die Frage, welche Aufgaben der Staat unverzichtbar wahrnehmen muss. Die Beantwortung dieser Frage muss aber am Anfang der Debatte stehen, nicht an ihrem Ende, sonst wird die Schuldenbremse zur Bildungsbremse, zur Infrastrukturbremse, zur Sicherheitsbremse." Klar sei, für weitere Steuersenkungen bestehe kein Spielraum. Im Gegenteil: Ohne zusätzliche Einnahmen sei die Umsetzung der Schuldenbremse nicht zu verwirklichen. Prof. Bofinger habe eindrucksvoll dargelegt, dass Deutschland bereits heute im Bereich der Bildungsfinanzierung und der Infrastrukturinvestitionen deutlich hinterher hinke. "Wir wollen keine Bildungspolitik nach Kassenlage, denn das kostet Zukunftschancen und schädigt unsere wichtigste Ressource, die gute Ausbildung unserer jungen Menschen."

Ausbau der Hochschulkapazitäten

Im Lichte dieser Überlegungen habe die SPD-Fraktion ein Konzept entwickelt und beschlossen, das die Kapazitäten an den hessischen Hochschulen in den kommenden fünf Jahren um über 20 Prozent ausweite. "Nach wie vor haben wir eine dramatische Unterfinanzierung der Hochschulen zu beklagen, die nun durch die Kürzungspläne der Landesregierung noch dramatisiert wird. Zugleich stehen die Doppeljahrgänge aufgrund der vermurksten Schulzeitverkürzung G8 vor der Tür, die den Druck auf die Hochschulen weiter erhöhen", so Schäfer-Gümbel.

Nach Ansicht der SPD sollen bis zum Jahr 2014 über 21.500 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Dies entspreche der Größenordnung, die Hessen aufgrund des Hochschulpakts des Bundes aufbauen müsse. Um diese zusätzlichen Studienplätze nach der Logik der Leistungsorientieren Mittelzuweisung (LOMZ) ausfinanzieren zu können, müssten aus Landesmitteln – in Raten ab 2011 ansteigend – im Jahr 2014 zusätzlich rund 57 Mio. Euro über die vorgesehenen Mittel hinaus bereitgestellt werden. Schwerpunkt des Aufbaus sollen die Fachhochschulen sein.

"Die SPD-Landtagsfraktion hat die Doppeljahrgänge, die nun an die Hochschulen drängen, gewiss nicht zu verantworten. Wir waren und wir sind gegen G8. Unabhängig davon aber stehen die jungen Menschen in den nächsten Jahren vor den Hochschulen und haben auch ein Recht auf ihre Zukunftschancen. Deswegen legen wir als erste und bisher einzige Fraktion im Hessischen Landtag ein Konzept vor, dass die Hochschulen in die Lage versetzt, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen", so Schäfer-Gümbel.

Haus der Bildung

Ferner teilte Schäfer-Gümbel mit, dass sich seine Fraktion auch über den Hochschulbereich hinaus intensiv mit der Zukunftsfrage Nummer 1, der Bildungspolitik, beschäftigt habe. Gerade im Lichte der völlig unzureichenden Politik der Landesregierung werde immer wieder deutlich, dass die SPD nach wie vor die einzige politische Kraft sei, die mit dem "Haus der Bildung" ein in sich geschlossenes, stringentes Bildungskonzept von der frühen Bildung bis hin zum lebensbegleitenden Lernen vorgelegt habe.

"Aber natürlich stellen sich nicht nur immer wieder die gleichen Fragen, sondern wir sind mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Dementsprechend haben wir unser "Haus der Bildung" kritisch durchgesehen und Weiterentwicklungen vorgenommen. Von zentraler Bedeutung dabei für uns nach wie vor die Abschaffung von G8, die Flexibilisierung der gymnasialen Oberstufe, den Ausbau des längeren gemeinsamen Lernen und ganz aktuell die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems. Dabei sind wir einen guten Schritt vorangekommen", so Schäfer-Gümbel.

Der Fraktionsvorsitzende kündigte an, dass die Beratungsergebnisse der Klausurtagung nun textlich gefasst und dann einer breiten öffentlichen Debatte erörtert werden sollen.

"Bis zum Jahresende werden wir durch diese öffentliche Debatte nicht nur viele Menschen an der Weiterentwicklung des Hauses der Bildung beteiligen sondern die SPD wird hierbei auch die Kernforderungen an die Novelle des Hessischen Schulgesetzes präzisieren. Wir werden deutlich machen, dass es eine echte Alternative in der Schulpolitik gibt – man muss Verbesserungen nur wollen. Dann können sie auch erreicht werden!", so Schäfer-Gümbel.

Klare Abgrenzung der CDU zu Hans-Jürgen Irmer gefordert

Schließlich habe die SPD-Fraktion neben einer Reihe weiterer Themen auch die Debatte des jüngsten Plenums um die rechtsextremen Äußerungen des CDU-Abgeordneten Hans-Jürgen Irmer noch einmal aufgerufen. Schäfer-Gümbel forderte die CDU-Fraktion auf, ihr Verhältnis zum Wetzlarer Abgeordneten zu klären und sich klar von ihm abzugrenzen.

"Die CDU spielt bislang ein doppeltes Spiel. Sie verkündet Lippenbekenntnisse zu Toleranz und Integration und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende buhlt mit rechtsextremen Sätzen um den Beifall von NPD und Republikanern. Es wird Zeit, dass sich die CDU entscheidet, ob sie weiterhin die Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut in ihren Reihen duldet."

Mit der rein formale Distanzierung im vergangenen Plenum könne nicht Schluss sein kann. "Jeder hat gesehen, dass diese Distanzierung bei weiten Teilen der CDU-Fraktion und leider auch Teilen der FDP allein taktisch motiviert war." Die Entschuldigung von Irmer sei schon deshalb wenig glaubhaft, weil er sich in der Vergangenheit immer wieder bei Rechtsextremen angebiedert und deren Gedankengut eine öffentliche Plattform verschafft habe. "Jeder weiß: Das war kein Ausrutscher, denn Herr Irmer meldet sich immer wieder mit Positionen zu Wort, die klar rechtsextremen Parteien zuzuordnen sind."

Schäfer-Gümbel berichtet weiter, dass die SPD-Fraktion die Tagung in Weimar dazu genutzt habe, sich mit dem stellvertretenden Thüringer Ministerpräsidenten Christoph Matschie und dem Wirtschaftsminister Matthias Machnig intensiv auszutauschen.