

Scharfe Kritik an den in dessen neuem Buch geäußerten Auffassungen Thilo Sarrazins hat der integrationspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Gerhard Merz in der heutigen Aktuellen Stunde des Landtags geübt. "In dieser Debatte geht es im Kern nicht um praktische Probleme der Integration und pragmatische, realitätstaugliche Ansätze der Integrationspolitik, sondern um fundamentale Fragen unseres Menschen- und Gesellschaftsbildes. Deshalb ist es wichtig, sich mit den Thesen des Herrn Sarrazin auseinanderzusetzen. Denn mit seinen biologistischen Thesen zur Vererbbarkeit von Intelligenz und über angeblich genetisch bedingte Unterschiede zwischen Völkern, Volks- und Bevölkerungsgruppen überschreitet Herr Sarrazin eine Grenze und begibt sich auf die abschüssige Bahn der Eugenik, also der Auffassung, dass bestimmtes Leben fortpflanzungswert und anderes eben nicht. Und wer sich auf diesen Weg begibt, der wird nicht stehen bleiben bei muslimischen Türken. Wer glaubt, er sei nicht gemeint, der könnte sich bitter täuschen", erklärte Merz.
Es führe auch in die Irre, die Debatte über die Erblichkeit von Intelligenz oder von Intelligenzunterschieden so zu führen wie Sarrazin. "Mit der Sarrazin’schen Logik hätte man vor 40 oder 50 Jahren auch die angeborene und deshalb erbliche und deshalb unaufhebbare intellektuelle Minderwertigkeit von Arbeiter- und Bauernkindern und natürlich auch von Mädchen annehmen und zur Grundlage von Gesellschafts- und Bildungspolitik machen können."
Wer so argumentiere, wer so konsequent gegen das intellektuelle, moralische und politische Gebot der Achtung der Würde aller Menschen verstoße, der könne kein Gesprächspartner für Integrationsfragen sein, weil er nach Ton und Inhalt seiner Äußerungen zeige, dass es ihm um die Aufgabe der Integration gar nicht gehe. "Es geht nicht darum, dass da einer angeblich nicht sagen dürfen soll, was er denkt, einer, der wochenlang seine Meinung über alle Fernseh- und Hörfunkkanäle und wo sonst noch ungehindert und bis zum Überdruss verbreiten konnte. Es geht hier nicht um Meinungsfreiheit! Es geht um eine konkrete Meinung, die zu bekämpfen ist, weil hier Tabus gebrochen werden, die nicht gebrochen werden dürfen!"
Es sei auch nicht wahr, dass es Thilo Sarrazins bedurft hätte, um eine offene und realistische integrationspolitische Debatte anzustoßen, die in der Tat geführt werden muss. "Sie wird ja auch auf vielen Ebenen und an vielen Orten geführt. Der Landtag habe eine Enquête-Kommission eingesetzt, deren Untersuchungsauftrag auch die Schattenseiten der Integration umfasse. "Diesem Auftrag kommen wir in der Kommission mit großer Ernsthaftigkeit nach. Die Zeit, wo die eine Seite geglaubt hat, die millionenfache Realität Einwanderung leugnen zu können, ist ebenso vorbei wie der naive Glaube auf der anderen Seite, Integration sei ein immerwährendes Multi-Kulti-Straßenfest oder ein nicht enden wollendes und immer siegreiches Spiel der Fußball-Nationalmannschaft."
"Die Zeit", so Merz weiter, "sollte auch vorbei sein, wo die Augen verschlossen werden davor, dass die integrationspolitische Realität vielerorts und in vielen Fragen weiter ist als die Debatte. Die Zeit ist reif dafür anzuerkennen, dass die Menschen mit Migrationshintergrund einen unverzichtbaren Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohlergehen dieses Landes leisten, dass sie zunehmend erfolgreich ihren Weg auch zu Bildungs- und Berufserfolg gehen, dass es in Zukunft deutlich mehr Zuwanderung braucht, um hier bei uns Wohlstand und soziale Sicherheit zu gewährleisten und dass es deshalb so wichtig ist, aus den fundamentalen Fehlern der alten Zuwanderungspolitik zu lernen und bei der Integration der bereits Zugewanderten – sowohl bei der nachholenden als auch bei der vorsorgenden – endlich kräftig voran zu kommen. Auch hier sind Scheuklappen abzulegen und die Realitätsverweigerung zu beenden. Eine offene Debatte erfordert Offenheit – auf allen Seiten!"
Weiterführenden Dokumente
Zum Konzept "Integration für Hessen"
Die Rede im Wortlaut zum Download im unteren Link