
Als "Jahr der verpassten Chancen für Hessen" hat der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Thorsten Schäfer-Gümbel das abgelaufene Jahr im Hinblick auf die Politik der Landesregierung gewertet. "Im Wechsel von Roland Koch zu Volker Bouffier lag ja durchaus die theoretische Chance, die Landespolitik inhaltlich neu aufzustellen und den trostlosen schwarz-gelben Koalitionsvertrag zu überwinden. Doch der neue Ministerpräsident Volker Bouffier hat kein Ideenfeuerwerk gezündet, sondern hütet mit seinem Kabinett nur noch eine längst erloschene Glut", sagte Schäfer-Gümbel am Dienstag in Wiesbaden.
Aufmerksam mache die Landesregierung nahezu ausschließlich durch neue und alte Skandale und Affären. "Innenminister Boris Rhein hat alle Hände voll damit zu tun, die Altlasten des Systems Bouffier abzuarbeiten und dabei die eigene Verquickung in die skandalösen Vorgänge als Innen-Staatssekretär zu übertünchen. Finanzminister Thomas Schäfer muss das ruinöse Erbe seines Vorgängers bewältigen und ist mit der Aufarbeitung von fraglichen Vergabeentscheidungen beschäftigt. Ministerin Lucia Puttrich verharmlost die Risiken der Atomkraft und ist angesichts der illegalen CDU-Parteienfinanzierung über die Stiftung Kloster Eberbach ebenfalls mit der Aufklärung von Altlasten befasst. Auch die neuen Köpfe im Kabinett stehen für altes Denken und alte Probleme – nicht für den notwendigen Neuanfang", sagte Schäfer-Gümbel.
Der einzige wirkliche Akzent, den die Regierung gesetzt habe, sei ihre andauernde Kommunalfeindlichkeit. "Das mit dem Haushalt 2011 beschlossene kommunale Sonderopfer von über 340 Millionen Euro ist nichts anderes als Ausdruck der Missachtung gegenüber den Städten, Gemeinden und Landkreisen."
Das vom Ministerpräsidenten versprochene neue Miteinander sei bislang nicht mehr als ein "leeres Versprechen". "Es hat keinen Stilwechsel der Landesregierung gegeben. Die Arbeitsteilung ist die alte: Die Regierung ist für die Skandale zuständig und die Opposition für die Inhalte".
Schäfer-Gümbel erinnerte an die zahlreichen Initiativen der SPD-Fraktion aus dem vergangenen Jahr: "Wir haben für alle Themen durchdekliniert, welche Spielräume das Land nutzen kann, um eine gerechte, zukunftsweisende Politik zu gestalten." Als Kernstück sozialdemokratischer Politik bezeichnete er den Gesetzentwurf für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in Hessen. "Dieser Entwurf für ein neues Hessisches Schulgesetz setzt Maßstäbe für eine moderne Bildungspolitik. Keine andere politische Kraft in Hessen – weder die Regierung noch die anderen Oppositionsfraktionen – hat bislang ein so ausgefeiltes Konzept vorgelegt, wie die anstehenden Herausforderungen der Bildungspolitik zu bewältigen sind. Gerade die jüngste PISA-Studie hat erneut dokumentiert, wie sehr Bildungschancen in Deutschland vom Status der Eltern abhängen. Diese Zwei-Klassen-Bildung müssen wir endlich überwinden."
Ihre Vorreiterrolle habe die SPD-Fraktion auch in der Energiepolitik weiter wahrgenommen. Mit den Konzepten für die Entwicklung des ländlichen Raums und der Städte, den Gesetzentwürfen zur Mittelstandsförderung, zur Schaffung eines Landespolizeibeauftragten, für ein Hessisches Ausbildungsförderungsgesetz, für ein Anti-Korruptionsgesetz und für ein Gesetz zur Bürgerbeteiligung habe sich die SPD-Fraktion in allen Fragen "auf der Höhe der Zeit" gezeigt, so Schäfer-Gümbel. "Der Landesregierung hingegen ist längst die Puste ausgegangen. Auch der Wechsel von Roland Koch zu Volker Bouffier hat ihr nicht die ‚zweite Luft‘ verschafft."
Inhaltlich stehe die Regierung Bouffier für eine "Politik von vorgestern". "In der Bildungspolitik setzt die Regierung auf Auslese, der sozialpolitische Kahlschlag geht weiter und sture Atomgläubigkeit versperrt den Erneuerbaren Energien die Zukunft."
Die SPD-Fraktion habe sich auch im abgelaufenen Jahr als "bereit zur Verantwortungsübernahme" gezeigt. "Wie bei der Bewältigung der Finanzkrise haben wir auch bei der Einführung Schuldenbremse bewiesen, dass wir auch aus der Opposition heraus bereit sind, verantwortlich mitzuarbeiten." Diese Haltung habe dazu geführt, dass die Schuldenbremse nicht zur Hessenbremse werde, wie es CDU und FDP ursprünglich geplant hätten. "Die schwarz-gelbe Koalition wollte sich von den Wählerinnen und Wähler mit der Volksabstimmung am 27. März einen Blankoscheck für Sozial- und Bildungsabbau ausstellen lassen. Das haben wir verhindert, indem wir die Einnahmeseite bei der notwendigen Haushaltskonsolidierung genauso in den Blick genommen haben wie die Ausgabeseite."