
Als "kraft- und an vielen Stellen perspektivlos" hat die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Heike Habermann den Entwurf zum Hessischen Schulgesetz der Landesregierung bezeichnet. Von der vollmundig angekündigten Modernität fehle jede Spur, sagte Habermann bei einer Pressekonferenz der SPD-Fraktion, bei der die SPD den Entwurf der Landesregierung im Vergleich mit dem eigenen, im Spätsommer vorgestellten, Entwurf bewertete. "Bei der Novelle des Hessischen Schulgesetzes herrscht eine riesige Diskrepanz zwischen den Sonntagsreden und dem tatsächlichen Handeln der Regierung", so die SPD-Schulexpertin am Donnerstag in Wiesbaden.
"Am Beispiel des Schulgesetzes wird einmal mehr deutlich, dass wir in Hessen echte Alternativen bieten. Die Hessische Landesregierung beweist mit ihrem Entwurf der Novelle, dass sie verhaftet ist in ihrem alten Denken, dass sie nicht die Kraft für eine echte Weiterentwicklung des Bildungssystems hat", sagte Habermann.
Nach einer genaueren Durchsicht der Regierungsvorlage zeigten sich bei den wesentlichen Punkten deutliche Unterschiede zwischen den Gesetzentwürfen der Landesregierung einerseits und dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion.
Grundschule: Stillstand versus Weiterentwicklung
Während die Landesregierung in ihrem Entwurf keinerlei Perspektiven für die Grundschulen eröffnet, setzt die SPD in ihrem Schulgesetzentwurf konsequent auf eine Stärkung der frühen Bildung. So wird die Schuleingangsstufe, die eine flexible Schuleingangsphase entwicklungsgerecht organisiert, obligatorisch in Hessen. Außerdem setzt die SPD auf eine Förderung der natürlichen Mehrsprachigkeit.
Mittelstufenschule versus erweiterte Realschule
Auch wenn es offensichtlich Einigkeit darüber gebe, dass die eigenständigen Hauptschulen in Hessen ein Auslaufmodell sei, gestalteten sich die strukturellen Antworten darauf sehr unterschiedlich, so Habermann.
Die Landesregierung setze offensichtlich auf ein halbherziges Modell, das die Bildungsgänge von Haupt- und Realschulen in den ersten Jahren der weiterführenden Schule verbindet, um dann so schnell wie möglich die Kinder wieder in Schubladen zu sortieren. Diese verbundene Haupt- und Realschule mit einer Förderstufe light erhält dann das Etikett "Mittelstufenschule" – mehr ändert sich nicht.
Die SPD hingegen fordert mit der erweiterten Realschule ein Übergangsmodell, das auf eine echte Integration der Bildungsgänge von Haupt- und Realschule aufbaut und mit dem Hauptschul- oder dem Realschulabschluss abschließt. Darüber hinaus hat im SPD-Modell auch jede erweiterte Realschule die Möglichkeit, sich zu einer Gemeinschaftsschule weiterzuentwickeln.
G8 versus G9
Nach wie vor halte die Landesregierung an der völlig verfehlten Schulzeitverkürzung im gymnasialen Bildungsgang fest – Änderungen seien in keiner Weise vorgesehen, sagte Habermann. Damit werde Schulstress und Schulfrust für Schülerinnen und Schüler des gymnasialen Bildungsgangs und deren Eltern zementiert.
Die SPD hingehen schlägt die generelle Rücknahme von G8 vor – eine verkürzte Mittelstufe soll die Ausnahme und als besondere Profilbildung möglich sein. Ferner sieht der Gesetzentwurf der SPD vor, dass die Oberstufe flexibilisiert wird und stärker als jetzt Wahlmöglichkeiten nach Eignung und Neigung eröffnet.
Selektion versus längeres gemeinsames Lernen
Während die Landesregierung auch bei der Gemeinschaftsschule in ihren ideologischen Schützengräben verweilt und längeres gemeinsames Lernen nach dem Vorbild der PISA-Sieger verhindert, setzt die SPD auf dieses Konzept als pädagogisches Prinzip. Alle Schülerinnen und Schüler können in kleinen Klassen heterogen unterrichtet werden – wenn die Schule und der Schulträger dies wollen. Damit werde der Vielfalt der Kinder und deren Begabungen ein neuer Lernort gegeben. Schulen aller Schulformen können sich auf der Basis eines Konzepts zu solchen Schulen entwickeln.
Inklusion: Spardiktat und Bevormundung versus echtem Anspruch
Zwar spreche auch die Landesregierung von dem Ziel, allen Kindern den Zugang zur Regelschule zu eröffnen, allerdings seien diese Erklärungen nicht nur halbherzig, sondern bei genauerer Durchsicht des Gesetzes verlogen. Denn die Ausübung des Elternwillens erschöpfe sich in der Anmeldung an die Regelschule und ein Anhörungsrecht der Eltern. Die Entscheidung über den Schulbesuch soll nach Regierungsmeinung nämlich der Schulleiter zusammen mit dem staatlichen Schulamt treffen. Nur dann wird dem Wunsch der Eltern entsprochen und das auch nur, wenn die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen. "De facto ist das die Verhinderung von Inklusion durch die Hintertür", sagte Habermann.
Im SPD Entwurf hingehen wird ein echter Anspruch der Eltern festgelegt, den der Staat zu erfüllen hat. Wenn Eltern die Beschulung des Kindes in der Regelschule wollen, dann müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Andererseits können die Eltern aber ebenso die Förderschule für ihr Kind wählen – entscheidend ist einzig und alleine die Einschätzung, wo die Kinder am besten gefördert werden können.
Selbstständige Schule: Technokratisch versus pädagogisch
An dem Konzept der Landesregierung zeige sich, dass das Modell der Selbstständigen Schule am grünen Tisch von Bürokraten gemacht sei, so Habermann. Ein bisschen mehr Budgetverantwortung, ein bisschen mehr Dienstherreneigenschaften der Schulleiter und nur ein ganz kleines bisschen pädagogische Selbstverantwortung kennzeichnet das Modell. "Das ist zuwenig und wird nicht zu einer qualitativen Weiterentwicklung der Schulen führen", sagte die SPD-Politikerin.
Die SPD hingegen setze auf echte pädagogische Selbstverantwortung, damit die Schulen wirklich die besten Wege für ihre Schülerinnen und Schüler finden und einschlagen können – organisatorische Selbstverantwortung kann nur Mittel zum Zweck sein. Und der Zweck ist eine bestmögliche und individuelle Förderung der Kinder, die den Schulen anvertraut sind.
"Viele weitere Punkte lassen sich anfügen, in der die Gesetzentwürfe der SPD und der Landesregierung Unterschiede zeigen. Dies wird im Rahmen des parlamentarischen Beratungsverfahrens im Einzelnen erörtert", so Habermann.