
Die hessische SPD-Landtagsfraktion hat zehn Forderungen zur Energiewende vorgelegt und Ministerpräsident Bouffier dazu aufgefordert, nun schnellstmöglich gesetzliche Grundlagen für den Umstieg auf Erneuerbare Energien zu schaffen. "Nach den schrecklichen Ereignissen in Japan müssen sich die Bundes- und Landesregierung klar zum Atomausstieg bekennen", sagte der Fraktions- und Landesvorsitzende der Hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, bei einer Pressekonferenz am Freitag in Wiesbaden. Dieser Schritt bedinge aber, schnellst möglich ein Konzept zum Umstieg auf Erneuerbare Energien vorzulegen.
"Die Stromversorgung der hessischen Haushalte und der Industrie müssen sichergestellt sein", so der SPD-Politiker. "Wir haben vor Jahren ein klares Konzept für einen hessischen Weg zur Energiewende vorgelegt." Jegliche parlamentarische Initiative der SPD, etwa das Gesetz zum Vorrang Erneuerbarer Energien und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz seien in der Vergangenheit aber von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt worden. Er bot der Landesregierung daher Unterstützung bei der Entwicklung einer Umstiegsstrategie an. "Der Landesregierung fällt außer dem Ausbau des Kohlekraftwerks Staudinger, Offshore-Windkraft und einem beschleunigten Planungsverfahren für den Ausbau des Höchstspannungsnetzes ja nichts Neues ein", so Schäfer-Gümbel.
Die SPD habe nun einen Forderungskatalog aufgestellt, der insbesondere den hessischen Kommunen mehr Möglichkeiten der Nutzung Erneuerbarer Energien geben soll. "Es muss jetzt endgültig Schluss sein, mit kommunaler Gängelung bei Erneuerbaren Energien", so Schäfer-Gümbel. Dazu müssten vorrangig die Planungshemmnisse für Städte, Kreis und Gemeinden abgebaut werden. Die Lösung der energiepolitischen Probleme der Zukunft liege darin, dezentrale Strukturen auf Basis regenerativer Energien aufzubauen. Dazu müssten die Energieträger Wasser, Wind und Sonne Vorrang vor fossilen Brennstoffen haben. "Bei baulichen Maßnahmen muss die Nutzung natürlicher Ressourcen zur Energiegewinnung vorgezogen werden", so Schäfer-Gümbel. Eine Verankerung der Energiewende im hessischen Landesrecht sei dringend notwendig. "Hessen braucht jetzt ein umfassendes Erneuerbare-Energien-Gesetz auf Grundlage des SPD-Entwurfs", sagte der SPD-Politiker. Darüberhinaus müsste der Umstieg auf Erneuerbare Energien gefördert und breitflächig vorangetrieben werden.
Grundsätzlich seien für die Energiewende drei Grundannahmen leitend. Leitend sei dabei, dass der entstehende Energiebedarf weitestmöglich durch Erneuerbare Ressourcen gedeckt werde. Außerdem solle Energie künftig effizienter genutzt werden. Dies gelte auch für fossile Brennstoffe, dort wo sie noch eingesetzt würden. "Wir brauchen lokale Blockheizkraftwerke und Kraft-Wärme Kopplung statt zentrale Großanlagen wie Staudinger", so Schäfer-Gümbel. Eine dritte Säule sei das Energiesparen – hier müssten neue Anreize gesetzt werden.
Darüberhinaus müssten Forschung und Entwicklung für Erneuerbare Energien vorangetrieben und unterstützt werden. "Die SPD hat innovative Technologie schon immer gefördert – wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland auch beim Know-How um die Energiegewinnung von morgen Spitzenreiter ist. Das ist High-Tech mit großen Chancen auf den Weltmärkten", sagte Schäfer-Gümbel.
Der Sprecher der SPD-Fraktion für Erneuerbare Energien, Timon Gremmels, verwies darauf, dass Hessen beim Thema Erneuerbare Energien einen immensen Nachholbedarf habe. "Hessen liegt beim Bundesländerranking der Agentur für Erneuerbare Energien auf dem letzten Platz bei den Flächenländern und insgesamt auf Platz 13. Das macht Hessens Scheitern beim Ausbau der Erneuerbaren Energien offenkundig", sagte der SPD-Politiker. Dies stehe auch in einem deutlichen Gegensatz zur gesellschaftlichen Akzeptanz für Erneuerbare Energien, so Gremmels. Hier belege Hessen nämlich den dritten Platz. "Wir erwarten nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes, dass es für Windkraftanlagen in Nord- und Osthessen keine räumliche Beschränkung geben wird, sondern eine ideologiefreie Planung, die neue Impulse für die Umstellung auf Erneuerbare Energien auslösen wird", sagte Gremmels.
Bei der Einbringung des neuen Landesentwicklungsplans, die für die zweite Jahreshälfte vorgesehen ist, habe deshalb Wirtschaftsminister Posch jetzt die einmalige Gelegenheit, die Nutzung Erneuerbarer Energie stärker zu berücksichtigen. Das gestrige VGH Urteil zur Windkraftnutzung in Nordhessen muss dabei berücksichtigt werden. Schließlich dürften auch die positiven, wirtschaftlichen Auswirkungen bei der Umstellung nicht unberücksichtigt bleiben. So schafften Erneuerbare Energien Jobs. "2010 arbeiteten 370.000 Menschen in der Erneuerbaren-Energiebranche. In der deutschen AKW-Branche waren es gerade mal 30.000", so Gremmels. Allein für Nordhessen habe das Kompetenznetzwerk für Dezentrale Energien (deENet) bis 2020 20.000 Jobs in dieser Zukunftsbranche vorausgesagt. Seit 2007 seien bereits 12.000 Arbeitsplätze entstanden. Außerdem könnten etwa kommunale Windkraftanlagen klamme Gemeindekassen füllen. In einer mittelhessischen Stadt brächten die Anlagen des städtischen Eigenbetriebs einen jährlichen Überschuss von bis zu 200.000 Euro.
Eine Modelgemeinde für Erneuerbare Energien, in der auch der kommunale Haushalt von der Umstellung profitiert, ist etwa das hessische Alheim. Georg Lüdtke, SPD-Bürgermeister der nordhessischen Gemeinde, setzt vor allem auf Sonnenenergie, aber auch auf Wasserkraft und Biogas. "Unser Ziel bis zum Jahr 2015 mindestens 80 Prozent der Bevölkerung Alheims rechnerisch durch regenerative- und Photovoltaikenergie zu versorgen, haben wir bereits jetzt übererfüllt. Über 118 Prozent des Bedarfs werden schon über Erneuerbare Energien gedeckt. Uns erscheint die Photovoltaik-Technologie als eine sehr verträgliche Variante", so der SPD-Politiker. "Dies bringt uns die höchsten Gewerbesteuereinnahmen in der Geschichte Alheims. Darüberhinaus haben wir 250 Arbeitsplätze allein in unserer Gemeinde geschaffen", so der Bürgermeister. Mit dem Bau eines Freiflächensolarparks in Alheim würde im Vergleich zur Erzeugung derselben Menge an Energie aus Steinkohle eine Reduzierung des CO2-Ausstosses von rund 460.000 Kilogramm pro Jahr erreicht. Dies zusammen mit den ständig kletternden Rohölpreisen habe in den letzten Monaten dazu geführt, dass in unserer Gesellschaft so langsam ein Umdenken einsetze. "Die alternative Energieerzeugung aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme ist nicht nur ein gangbarer, sondern ein heute schon technisch höchst ausgereifter Weg, um der Erdölabhängigkeit zu mindestens teilweise zu entkommen", so Lüdtke. Hier entwickele sich ein völlig neuer Wirtschaftszweig, der nach Schätzungen des European Energy Councils (EREC) zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in den alten EG-Staaten schaffen könnte.
Die Stadt Viernheim setzt bereits seit den 80er Jahren auf Klimaschutz. Schwerpunkt der Politik von Bürgermeister Matthias Baaß (SPD) ist dabei das Energiesparen. "Der zukunftssichere Weg heißt: Erst die Effizienz steigern und dann den restlichen Energiebedarf regenerativ decken", sagt Baaß. Das beginne mit dem Energiesparen im Haus. Da gebe es nach wie vor ein großes Potential. Denn die Energie, die dort eingespart werde, müsse gar nicht erst erzeugt werden. Zudem sei Energie teuer geworden. Mit einem Energiesparcheck zuhause lasse sich herausfinden, ob der Verbrauch von Strom und Wärme überdurchschnittlich sei und bares Geld gespart werden könne. Dazu verleihe die Stadt Strommessgeräte. Damit könnten heimliche Stromfresser gefunden werden. Die Viernheimer Bürger könnten sich außerdem einen Energiepass erstellen lassen, um die Wärmeverluste Ihres Hauses kennen zu lernen. "Wir Bürger müssen jetzt die Dinge auch selbst in die Hand nehmen, wenn wir den Ausstieg aus der Atomkraft und die Energiewende tatsächlich wollen. Wir brauchen einen besseren und eindeutigeren Rahmen, den die Politik sicherstellen muss, handeln müssen wir aber auch alle selbst!"
Dr. Fabio Longo, Rechtsanwalt für Energierecht und Vorstandsmitglied des gemeinnützigen überparteilichen Vereins EUROSOLAR, sagte, dass die dezentrale Energieversorgung eine klassische Aufgabe der Städte und Gemeinden und als solches vom Grundgesetz zugesichert sei. Die Kommunen seien allerdings auf Unterstützung durch Landesregierung und Landesgesetze angewiesen, da sie ihr Verfassungsrecht nur "im Rahmen der Gesetze" ausüben dürften, erklärte der Autor des Fachbuchs "Neue örtliche Energieversorgung als kommunale Aufgabe". Die Rahmenbedingungen für Kommunen durch hessische Landesgesetze seien im bundesweiten Vergleich allerdings nicht zu unterbieten, so Longo. "Städte und Gemeinden, die sich für eine örtliche Energieversorgung aus heimischen erneuerbaren Energien engagieren, bekommen vom Land Hessen überall Steine in den Weg gelegt – ganz anders als beispielsweise in Rheinland-Pfalz." Das hessische Landesrecht verhindere den notwendigen Ausbau der Windkraft mit dem Landesplanungsgesetz und Landesentwicklungsplan und erschwere das Engagement für kommunaleigene Betriebe zur Energieerzeugung in der Gemeindeordnung. "Die Krönung dieser Verhinderungsgesetzgebung war die Novelle der Bauordnung Ende 2010. Hier hat der Landtag rückwirkend Satzungen beseitigt, die heute dringend gebraucht würden: Satzungen für die dezentrale Energieversorgung in Frankfurt genauso wie die Marburger Solarsatzung." Dieses Landesgesetz werde sich allerdings noch als verfassungswidrig erweisen, da es die kommunale Satzungshoheit untergrabe, so Dr. Fabio Longo.