
Der Fraktionsvorsitzende der Hessischen SPD-Landtagsfraktion Thorsten Schäfer-Gümbel hat anlässlich der heutigen Regierungserklärung der Landesregierung bescheinigt, bei energiepolitischen Fragen "nicht auf der Höhe der Zeit" zu sein. "Sie haben in der Fortschrittsdebatte der vergangenen Jahre nahezu keine Rolle gespielt und immer nur eine Rückschrittspolitik verfolgt", sagt Schäfer-Gümbel am Dienstag in Wiesbaden. Deswegen sei es beim Energiegipfel nun erforderlich, dass die vorliegenden Konzepte der Opposition zur Basis der hessischen Energiepolitik werden.
Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten bezeichnete der hessische Oppositionsführer als ambitionslos, uninspiriert und ohne echte Perspektive. Sie sei mehr Schein als Sein. "Das Kalkül ist einmal mehr, allein durch das Wort "Regierungserklärung" die Überschriften zu dominieren, sei es auch noch so seicht, was Sie sagen" sagt Schäfer-Gümbel.
"Wir hätten erwartet, dass Sie hier heute mit etwas Demut an dieses Pult treten", sagt Schäfer-Gümbel in Richtung des Ministerpräsidenten. CDU und FDP hätten bei der Energiepolitik fast alles falsch gemacht, was man falsch machen könne. Die Regierung habe mit ihrer Blockadepolitik 12 Jahre verloren, sei 12 Jahre in die falsche Richtung marschiert, habe Hessen ans Tabellenende beim Einsatz Erneuerbarer Energien geführt und damit die ökologische Erneuerung verschlafen.
Die SPD habe in puncto Energiewende das Tempo, die Richtung und die Inhalte bestimmt. "Wir waren die erste Fraktion im Hessischen Landtag, die bereits 2006 ein vollständiges Konzept zur Energiewende vorgelegt hat. Wir waren die Fraktion, die die umfassendsten und gründlichsten Gesetzentwürfe vorgelegt hat" so Schäfer-Gümbel.
"Keine andere Fraktion hier im Hause hat so konkret und nachvollziehbar dargelegt, was zu tun ist, um in Hessen die Energiewende zu schaffen", sagte Schäfer-Gümbel. Der entscheidende Ort der Auseinandersetzung sei dafür das Parlament und nicht ein vom Ministerpräsidenten moderierter Energiegipfel.
Die dezentralen erneuerbaren Energien seien die Alternative zur fossilen und atomaren Energienutzung. Sie sorgten nicht nur für saubere Energie, sondern schafften tausende von Arbeitsplätzen und brächten neue Einnahmen in die klammen kommunalen Kassen. "Wenn jetzt schleunigst und konsequent die vollständige Energiewende eingeleitet wird, kann das Industrieland Hessen bis spätestens 2030 im Strom- und bis 2040 im Wärmebereich zu 100 Prozent energieautonom werden. Verzögerungstaktik und Bremserei können wir uns nicht mehr leisten", so der SPD-Politiker.
"Es geht dabei nicht um romantische Vorstellungen, sondern um die handfeste Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Es geht nicht um Sonnenblumen-Felder, sondern um weltmarktfähige High-Tech, die Arbeitsplätze schafft, Exportchancen verbessert, regionale Wertschöpfung ermöglicht und sicheren, sauberen und bezahlbaren Strom liefert."
Die Energiewende sei die große Chance für einen neuen Aufschwung des Technologie- und Wirtschaftsstandortes Hessen. Sie trage bei zum Klimaschutz und zur Unabhängigkeit von Energieexporten aus oft politisch instabilen Regionen.
Allein in Nordhessen seien in diesem Segment 13.000 Arbeitsplätze entstanden (deENet). Vor diesem Hintergrund sei es besonders erschreckend, das Hessen beim Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung dramatisch vom vierten auf den elften Platz abgerutscht sei. Bei der Ansiedlungsstrategie sei Hessen sogar Schlusslicht, was nichts anderes bedeute, als dass es hier faktisch keine Strategie gebe.
Das Thema Bezahlbarkeit des Stroms dürfe nicht als Totschlagargument von Atomkraft-Befürwortern missbraucht werden. Es sei Aufgabe der Politik, dass die soziale Frage nicht gegen den Klimaschutz ausgespielt werde. Eine Katastrophe wie Fukushima übersteige in ihren volkswirtschaftlichen Kosten jede Vorstellung. "Das Geschäftskonzept der Atomkraft beruht schon immer darauf, dass die Gewinne privatisiert und die ökologischen und sozialen Folgekosten sozialisiert werden", so Schäfer-Gümbel. Das sei aus volkswirtschaftlicher Sicht unbezahlbar.
Die SPD stehe für eine bezahlbare Stromversorgung, denn sie stehen zum Industriestandort Deutschland und für eine gerechte Verteilungspolitik. "Wir wissen, dass die Produktionskosten des Stroms am Strompreis nur rund ein Drittel ausmachen. Wir wissen, dass angeblich billiger Atom-Strom nicht Industrie und Haushalte entlastet, sondern den Stromriesen milliardenschwere Zusatzgewinne beschert", so Schäfer-Gümbel.
Der SPD-Politiker kritisierte die Geburtsfehler des Hessischen Energiegipfels. So seien die Stadtwerke als kommunalen Unternehmen sowie Umweltverbände nicht eingeladen worden. Die Einladung an RWE sei ein Affront. Außerdem sei den Vertretern der Erneuerbaren Energien zu wenig Platz am Tisch eingeräumt worden. Er bekräftigte aber das Angebot der SPD, beim Energiegipfel mitzuarbeiten. Die Teilnahme sei aber nicht bedingungslos. "Hinter die Abschaltung von Biblis gibt es kein Zurück. Der Konsens ist tot, wenn Biblis wieder ans Netz geht", sagte Schäfer-Gümbel. Darüber hinaus müsse der Atomausstieg unumkehrbar geregelt werden. Der Atomausstieg dürfe dabei nicht als Legitimation für den Rückfall hinter das Klimaschutz-Ziel ausgenutzt werden. "Der Teufel kann nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben werden", so Schäfer-Gümbel. Zudem müsse das Landesplanungsrecht endlich den Vorrang Erneuerbarer Energien berücksichtigen – die SPD-Vorschläge lägen seit Jahren auf dem Tisch. "Es muss endlich Schluss sein mit der Verhinderungsplanung, die bis heute das Markenzeichen Ihrer Energiepolitik ist" sagte Schäfer-Gümbel.
Es sei tragisch, dass es einer weiteren Katastrophe bedurft habe, um die Regierung von der Notwendigkeit der Energiewende zu überzeugen. "Unser ganzes Mitgefühl gilt den Menschen in Japan. Diese dreifache Katastrophe – Erdbeben, Tsunami und Atom-Unfall – hat unsägliches Leid über diese Nation gebracht. Das ganze Ausmaß des damit verbundenen Elends ist auch heute – Wochen später – noch gar nicht überschaubar", sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende. Dort sei nun das Mögliche – nämlich das Restrisiko – wirklich geworden. "Für uns war das Restrisiko spätestens seit Tschernobyl immer mehr als eine rechnerische Größe. Es war für uns Ausdruck einer realen Gefahr, deren Bedrohung angesichts ihrer ungeheuerlichen Dimension nicht aufgrund ihrer statistisch betrachteten Unwahrscheinlichkeit in Kauf genommen werden darf."
Die Bundesregierung und in ihrem Gefolge die CDU-geführten Landesregierungen hätten angesichts der Atom-Katastrophe von Fukushima eine atemberaubenden energiepolitische Wende vollzogen. "Aber jeder hat das Recht und die Pflicht, dazu zu lernen", so Schäfer-Gümbel.
Die Regierung müsse aber schon ertragen, dass Ihre Glaubwürdigkeit in dieser Frage offen angezweifelt werde. "Ist die Abschaltung von Biblis "absurd" wie Herr Dr. Wagner meint? Ist das gar "kindisch", wie Herr Bouffier sagt? Gehen die Reaktoren nie wieder ans Netz, wie es die FDP halbwegs fordert? Wo stehen Sie? – das weiß nach dieser Regierungserklärung kein Mensch", so Schäfer-Gümbel. Bouffier stolpere durchs energiepolitische Niemandsland seiner Regierung. Er habe kein Konzept, keinen Plan, kein Ziel. Selbst die Idee des Energiegipfels basiere auf einem Vorschlag des DGB.
Schäfer-Gümbel betonte seine Anerkennung für die ernsthafte Debatte der FDP. Das unterscheide sie von ihrem Koalitionspartner. "Das Ergebnis ihrer Debatte ist aber nicht überzeugend – es ist ein Formelkompromiss. Natürlich macht es einen Unterschied, ob man "erwartet", dass Biblis nicht wieder ans Netz geht oder ob man es fordert und aktiv etwas dafür tut", sagte Schäfer-Gümbel.