Wo ist der Ministerpräsident, wenn es um die zentralen Zukunftsthemen geht?

Der Fraktions- und Landesvorsitzende der SPD-Hessen Thorsten Schäfer-Gümbel hat bei der Generaldebatte im Hessischen Landtag die Haushaltspolitik der Landesregierung als ziellos, ideenarm und ohne Plan bezeichnet. „Ein Landeshaushalt muss Zukunftsperspektiven aufzeigen – davon ist im Entwurf der Landesregierung nichts zu erkennen“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Wiesbaden. „Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger müssen verantwortungsbewusst ausgegeben werden.“ Er erinnerte daran, dass für einen zukunftsweisenden Haushalt auch die Ausgaben- und Einnahmenseite in ein gerechtes Gleichgewicht gebracht werden müssten.

Die SPD habe sich für ihren Politikansatz, der sich ja in den Haushaltsanträgen niederschlage, klare Prioritäten gesetzt. „Bei der Landesregierung ist davon nichts zu erkennen“, so der SPD-Politiker. Während die Regierung behaupte, sie würde sparen, liege sie gemeinsam mit dem christdemokratischen Niedersachsen bei den Ausgaben an der Spitze der Länder. Die Politik der Landesregierung sei völlig realitätsfern. „Wir fragen uns immer wieder: ‚Wo ist der Ministerpräsident, wenn es um die zentralen Zukunftsthemen des Landes geht‘“, sagte Schäfer-Gümbel. „Hessen sucht keinen Moderator, ‚Wetten dass…?‘ sucht einen Moderator – Hessen sucht einen Regierungschef!“

So könne Schwarz-Gelb beispielsweise in der Bildungspolitik nicht einfach permanent behaupten, alles sei gut. „Es ist es nicht!“, sagte Schäfer-Gümbel. „Es ist für uns nicht akzeptabel, dass die Regierungskoalition mit G8 die Schulzeit verkürzt hat, damit die Schüler schneller von der Schule kommen, sie aber hinterher vor den wegen Überfüllung geschlossenen Hörsälen der Universitäten stehen.“ Er forderte die Landesregierung auf, die Grundfinanzierung der hessischen Hochschulen zu sichern und dem von der SPD vorgeschlagenen Notprogramm zuzustimmen.

Schäfer-Gümbel wies darauf hin, dass Bildungschancen der Kinder in diesem Land nicht von ihrer sozialen Herkunft abhängen dürften. „Wir dürfen Kinder im Bildungssystem nicht beschämen. Wer aber in seinem Schulgesetz verlangt, dass Bildungschancen reduziert werden, der hat daran offenbar kein Interesse“, sagte der SPD-Politiker. Beim Thema Hauptschule sei die CDU von der Bundesebene Kiel geholt worden. „Mit der SPD wird ab 2020 kein Schüler in Hessen die Schule mehr ohne einen qualifizierten Schulabschluss verlassen“, sagte Schäfer-Gümbel.

Im Bereich Arbeit warf der SPD-Fraktionsvorsitzende dem Ministerpräsidenten Schönfärberei vor. Während er sich mit den guten Arbeitslosenzahlen schmücke, verschweige er die andere Wirklichkeit auf dem Arbeitsmarkt. „Die Hälfte der Unterdreißigjährigen in diesem Land arbeitet im Niedriglohnsektor. Die Hälfte der Unterfünfunddreißigjährigen hatten noch nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag“, so Schäfer-Gümbel. „Wer in diesem Land in Vollschicht arbeitet, muss auch anständig leben können.“ Deshalb brauche Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro und keinen nebulösen Formelkompromiss.

Hingegen seien dem Ministerpräsidenten die betriebliche Mitbestimmung, Betriebsräte aber auch die Kurzarbeiterregelung der großen Koalition keine Erwähnung wert. „Ohne die Betriebsräte etwa bei Opel oder Sell gebe es dort heute in Zukunft womöglich gar keine Arbeitsplätze mehr“, so Schäfer-Gümbel.

Er wies darauf hin, dass die 1000 Call-Center in Hessen 677 Millionen Euro Gewinn erwirtschafteten, dabei aber der Steuerzahler wegen der niedrigen Löhne die Beschäftigten mit 32 Millionen Euro an Aufstockung unterstütze. „Das kann so nicht sein! Mit der SPD wird ab dem Jahr 2020 kein Steuercent mehr für Niedriglöhne ausgegeben“, so Schäfer-Gümbel. Die Steuersenkungspläne der Bundesregierung, denen Hessen zugestimmt hatte, nannte er ein „Bonsai-Reförmchen“. Mit einem Jahreseinkommen von 9000 Euro erhalte man im Monat genau 1,42 Euro mehr.

Auch in sozialen Fragen sei die Landesregierung blank. „Dass bei der Operation Düstere Zukunft ab 2003 die Finanzierung von Frauenhäusern und –betreuung empfindlich zusammengekürzt wurde und heute ein ‚Aktionsplan Häusliche Gewalt‘ vorgelegt wird, der keinerlei finanzielle Ausstattung beinhaltet, ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten“, so Schäfer-Gümbel. Auch die Existenz der „Tafeln“ beschrieb er als ambivalent. „Armut beschämt Menschen und nimmt ihnen Kraft. Wir wollen Menschen Perspektive und Hoffnung geben. Mit der SPD soll es die Tafeln bis 2020 nicht mehr geben müssen, weil wir sie überflüssig machen.“

Den Energiegipfel nannte Schäfer-Gümbel eine „Fortbildungsveranstaltung für die Landesregierung“, der in der Kleinkariertheit gipfelte, dass der Ministerpräsident nicht einmal den Ideengeber Stefan Körzell, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüring, als solchen im Anschlusspapier erwähnt haben wollte. „Wir haben nur einen Zipfel des Gipfels zu Greifen bekommen“, sagte Schäfer-Gümbel. „Mit der SPD kommen bis 2030 100 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien.“

Im Bereich Innere Sicherheit drang Schäfer-Gümbel auf schnellstmögliche und umfassende Aufklärung der Ermittlungen zum Mord eines Kasseler Internetcafébesitzers in den Jahren 2006 und 2007. „Die Landesregierung muss hier Licht ins Dunkel bringen.“ Sollten sich die Vorwürfe gegen den hessischen Verfassungsschützer erhärten, sei dies einer der größten Skandale Hessens. Allerdings dürfe es keine Vorverurteilungen geben. Den Begriff „Döner-Morde“ bezeichnete er als zynisch. „Dieses Wort ist völlig unangemessen. Bei den Morden an türkischen und griechischen Bürgern dieses Landes handelt es sich um den schlimmsten rassistisch motivierten Serienmord in der Geschichte der Bundesrepublik.“ Die Politik dürfe sich nicht nur dann mit Rechtsextremismus beschäftigten, wenn es dazu Anlass gebe. „Wir müssen Extremismus in jeder Form entschieden und entschlossen entgegentreten.“