„Die Machtübernahme der Taliban stellt für hunderttausende von Menschen in Afghanistan eine existenzielle Bedrohung dar: Für die Ortskräfte, die den Militäreinsatz des Westens dort zwei Jahrzehntelang unterstützt haben, für Mitarbeiter:innen von Entwicklungsprojekten, NGOs, Stiftungen und Medien und für deren Familien. Für Mädchen und Frauen, die ihr Leben selbstbewusst und selbstbestimmt jenseits von rigiden religiösen Regeln führen wollen. Für Literat:innen, Schauspieler:innen und bildende Künstler:innen, aber auch für alle anderen, die den freien Geist lieben und leben. Ihnen drohen nun massive Repressionen – und im schlimmsten Fall der Tod.
Die Staaten, die an dem Einsatz in Afghanistan beteiligt waren, tragen die Verantwortung für das Schicksal dieser Menschen. Deswegen muss Deutschland nun in jedem Falle den Ortskräften, die die Bundeswehr in Afghanistan unterstützt haben, sowie den Mitarbeiter:innen der zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und deren Familien eine sichere Perspektive bieten. Das bedeutet, sie hierher zu holen – und zwar ohne bürokratische Kaltherzigkeit. Es ist unsäglich, wenn bei der Rettung von Menschen, die unter einem Taliban-Regime in Lebensgefahr geraten werden, zwischen direkt bei der Bundeswehr Beschäftigten und Beschäftigten von Subunternehmen unterschieden wird. Oder wenn sich die Behörden in Deutschland für die Mitarbeiter:innen von nicht-staatlichen Organisationen nicht verantwortlich fühlen. Hier geht es um Menschenleben, nicht um die Auslegung von Arbeitsverträgen.
Der Flughafen Frankfurt spielt bei der Evakuierung derer, die in Afghanistan an Leib und Leben bedroht sind, eine zentrale logistische Rolle. Ich erwarte deswegen von der hessischen Landesregierung, dass sie die Vorbereitungen trifft, die erforderlich sind, um den hier ankommenden Menschen einen Neustart in Hessen oder anderswo in Deutschland und Europa zu ermöglichen. Die Verantwortung Deutschlands in dieser Lage tragen Bund und Länder gemeinsam. Hessen muss sich daher um eine zeitnahe Verständigung mit den anderen Ländern und dem Bund über koordinierte Unterbringungs- und Eingliederungsmaßnahmen in Deutschland bemühen, muss aber notfalls auch alleine mutig und menschlich handeln.
Auch eine sehr große Zahl von Menschen, die nicht in unmittelbarem Kontakt zu den westlichen Militärkräften und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen standen, wird versuchen, Afghanistan zu verlassen. Selbstverständlich steht die ehemalige Militärallianz, zu der auch Deutschland gehört, in der humanitären Verpflichtung, den Flüchtenden zu helfen – sowohl durch logistische und finanzielle Unterstützung der Nachbarstaaten Afghanistans als auch durch die Aufnahme hier in Deutschland.
Wer sich jetzt der raschen und großzügigen Hilfe durch und in Deutschland verweigert, sondern stattdessen auf eine europäische Lösung warten will, wird der großen Verantwortung nicht gerecht, die unser Land mit der Beteiligung an dem Militäreinsatz in Afghanistan übernommen hat. Denn wir alle wissen, dass es in einem Europa, in dem die Orbans, Kaczinskys und andere Rechtspopulisten mit entscheiden können, keinen schnellen Kompromiss über die Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan geben wird.
Deswegen fordere ich die hessische Landesregierung auf, jetzt ihren Teil dazu beizutragen, dass die Bundesrepublik Deutschland nach dem schrecklichen Scheitern des langen und verlustreichen Militäreinsatzes in Afghanistan nun den Menschen, die in ihrem Land von Leid und Tod bedroht sind, die Hilfe zukommen lässt, die sie dringend benötigt.“