„Wenn man dem 14-jährigen Christoph gesagt hätte, dass er einmal Landtagsabgeordneter werden würde, hätte er den anderen wahrscheinlich ausgelacht“, sagt Degen über sich. Er war ein eher schüchternes Kind. Versteckte sich gerne hinter anderen. Bloß nicht im Mittelpunkt stehen und schon gar nicht vor anderen Reden halten, so ist er aufgewachsen.
Meist ging Degen Konflikten aus dem Weg. „Ich streite mich nicht gerne. Das ist heute noch so. Aber mittlerweile weiß ich, wann ich mich streiten muss. Und dass ich es kann.“ Auf Neues ließ er sich vor allem dann ein, wenn Freunde ihn begleiteten. So landete er auch gemeinsam mit einem Freund bei den Jusos, der Jugendorganisation der SPD. Dort bringt er sich sehr ein, aber es drängt ihn nicht in die erste Reihe. So leistet er seinen Zivildienst in einer Förderschule, weil die Schwester eines Freundes dort schon arbeitet. Lehrer war da noch kein Berufswunsch für ihn.
Im Lauf der Zeit lernt er auch durch sein politisches Engagement, für seine Themen vor anderen einzustehen. Mit 20 zieht er dann von Zuhaue aus, bleibt aber dennoch während des Studiums im Umfeld der Familie wohnen. Auch sein Studienfach orientiert sich an dem, was ihm bereits bekannt ist: Im Anschluss an seinen Zivildienst will er Förderschullehrer werden.
All das ändert sich erst, als er den Entschluss fasst, für drei Monate nach Botswana zu gehen. „Ich habe dort bei einer Stiftung gearbeitet und habe zu Anfang noch unbedingt vermieden, ans Telefon gehen zu müssen. African-English zu verstehen fiel mir zunächst echt schwer. Aber irgendwann wurde mir klar: Wenn du den Hörer nicht abnimmst, dann macht es keiner.“ Auf sich allein gestellt mit eigener Verantwortung wächst auch der Charakter Degens. „Ich wurde mutiger. Ich wurde selbstständiger. Heute kann ich da als Pädagoge und Bildungspolitiker draufschauen und erklären, dass solche Erfahrungen für junge Menschen extrem wichtig sind und dass wir sie allen ermöglichen müssen. Damals war das einfach nur großartig für mich.“
Als Degen zurückkehrt, ist er ein anderer. Er traut sich mehr zu, er hat eigene Stärken entwickelt. Auch in der Politik bleibt er jetzt nicht mehr in der zweiten Reihe. Er wird Vorsitzender der Jusos im ganzen Süden Hessens. Sogar ein Abgeordneter wird nach einiger Zeit auf ihn aufmerksam und lädt das junge Talent zu sich nach Hause ein. Zu diesem Zeitpunkt ist Degen Mitte 20. Was der Abgeordnete ihm vorschlägt, überrascht Degen sehr. Er soll der Nachfolger im Parlament werden. Nicht irgendwann, sondern gleich bei den nächsten Wahlen.
Degen schmeichelt diese Idee. Direkt nach dem Studium kann er für den Landtag kandidieren. Als er gewählt wird, kann er sein Glück kaum fassen. Mit 27 Jahren ist er plötzlich im Parlament. „Während andere sich einen ersten Job suchen mussten, hatte ich schon einen richtig guten. Aber ich muss zugeben, dass ich damals noch nicht wirklich reif für diese Position war.“ Er sitzt in der letzten Reihe des Landtages, hat kaum Einfluss, nimmt die Schmeicheleien, die man ihm entgegenbringt, aber gerne an. Wenn Degen heute an diesen jungen Mann zurückdenkt, dann belächelt er ihn. „Ich war schlicht zu jung und zu naiv“.
Hart trifft Degen das abrupte Ende der Wahlperiode. Als sich bei den angesetzten Neuwahlen die Niederlage seiner Partei abzeichnet, schreibt sogar der Spiegel einen Artikel über ihn. Er trägt die wenig charmante Überschrift: „Jung, smart, chancenlos“. Er schafft den Einzug ins Parlament nicht wieder. Zu Anfang denkt er noch „Ich war ja Abgeordneter, da wirst du danach sicher ein Jobangebot bekommen“. Ein Trugschluss. Niemand will Degen haben. Er wird arbeitslos.
Die Krise Degens will kein Ende nehmen. Seine Beziehung geht in die Brüche, sein Vater erkrankt an Krebs und stirbt. Es ist der absolute Tiefpunkt im Leben des jungen Mannes.
„Wenn alles um einen herum in die Brüche geht, dann ist es schwer, wieder die Kraft zu finden, sich aufzuraffen. Man hofft immer darauf, dass irgendwas passiert und sich die Probleme lösen. Aber wenn man es nicht selbst macht, dann passiert gar nichts.“
Degen rafft sich auf und bewirbt sich zum ersten Mal für den Beruf, den er eigentlich gelernt hat: Förderschullehrer. „Ich wurde genommen und habe dann völlig neu in diesem Beruf angefangen. Womit ich nicht mehr gerechnet hatte, ist, dass ausgerechnet das mein absoluter Traumberuf ist.“ Degen geht im Lehrerberuf auf. Er ist beliebt bei seinen Schülern, beliebt bei Kolleginnen und Kollegen. Sein ganzer Eifer gilt nicht mehr ihm und seiner Karriere, sondern den anderen. Für jeden seiner Schüler, der oder die einen Schritt in Richtung Selbstständigkeit geht, freut er sich über die Maßen.
„Wenn man diesen Beruf macht, dann erfährt man, wie unser ganzes Bildungssystem sein könnte. Was aus Menschen werden kann, die so schwierige Startvoraussetzungen haben und dennoch etwas zu Stande bringen. Stellen wir uns doch nur einmal vor, was möglich wäre, wenn wir in jeder Schule auf jede Schülerin und jeden Schüler so individuell schauen würden wie in der Förderschule.“
Fünf Jahre lang lebt er für diesen Beruf und erkennt doch immer wieder, welche Schwierigkeiten es in der Praxis im Bildungssystem gibt. „Da ist so vieles zu unflexibel, da fehlt Personal und oft Zeit. Es geht doch in der Schule um jeden Menschen und die Chancen für das ganze Leben, und da darf man sich niemals, wirklich niemals damit begnügen, das nur mittelmäßig zu gestalten.“ Je häufiger ihm die Probleme im Bildungssystem auffallen, desto größer wird auch sein Drang, sich wieder politisch zu engagieren. „Über die Bildungspolitik wird im Landtag entschieden! Bei der ersten Kandidatur ging es um mich. Als ich wieder antrat, ging es um die Schule.“
Degen wagt eine erneute Kandidatur und wird in den Landtag gewählt. Dort sitzt er nicht mehr in der letzten Reihe, sondern gehört zu den Bildungspolitikern, die viel angehört werden. Er ist ein Praktiker, der weiß, wie man Schule neu organisieren kann. Eine ganze Wahlperiode lang bringt er sich mit viel Fleiß und Eifer ein. Hessenschau.de attestierte ihm kürzlich, der fleißigste Anfragensteller der Wahlperiode zu sein. Er macht konkrete Vorschläge und erzielt selbst aus der Opposition heraus manchen politischen Erfolg, weil er die besseren Ideen hat.
Als er vor der Landtagswahl seiner früheren Schulleitung ankündigte, dass er noch einmal antreten wird, nahm sie ihn mit den Worten in den Arm: „Das ist schade für uns, aber gut so fürs Land.“
Christoph Degen kandidiert für den Wahlkreis 40 Main-Kinzig I.
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