Özgüven ist das Kind von Gastarbeitern. Ihre Eltern kamen aus der Türkei nach Deutschland. Wie die meisten anderen Gastarbeiter auch, hatten ihre Eltern nie vor, lange zu bleiben und blieben für immer. Sie sahen für ihre Kinder hier mehr Chancen im Leben. Besonders hart empfand ihr Vater allerdings, dass er sein in der Türkei begonnenes Ingenieursstudium in Deutschland nie fortsetzen konnte. Dass Studienleistungen aus dem Ausland nicht anerkannt werden, ist eine konservative Idee. Dass der Geldbeutel darüber entscheidet, ob jemand studieren kann oder nicht, ist eine konservative Idee. Für seine Kinder wollte er stets, dass sie alle einen deutschen Abschluss haben.
Eine gute Bildung für die Kinder ist beiden Eltern wichtig. Deshalb wollten diese gerne, dass Handan Özgüven früh in den Kindergarten geht, um besser Deutsch zu lernen. Aber die kleine Handan wurde von einem christlichen Kindergarten abgelehnt, weil sie nicht getauft ist. Eine konservative Idee. Ihr Vater wollte das nicht auf sich beruhen lassen. Er ließ sich einen Termin beim Pfarrer geben und setzte sich für seine Tochter ein. Er wollte, dass sie eine Chance im Leben bekommt. Der Pfarrer willigte ein und machte eine Ausnahme. „Ehrlich gesagt, sollte niemand wegen seiner Herkunft anders behandelt werden“, fordert Özgüven bis heute.
Auch in der Grundschule stößt Handan Özgüven immer wieder auf Widerstände. Zuerst musste sie in eine sogenannte „Türkenklasse“ mit allen anderen Gastarbeiterkindern gehen. „Das ist doch völlig logisch, dass man da nicht besser Deutsch lernt, wenn es keiner kann“, sagt die Abgeordnete heute und schüttelt deshalb auch den Kopf, wenn die Landesregierung Integrationsklassen für Geflüchtete einrichtet. Eine konservative Idee. „Erst mit Beginn des 3. Schuljahres kam ich in eine reguläre Grundschulklasse, allerdings weiterhin mit sprachlichen Defiziten.“
Am Ende der Grundschule reichen ihre Noten für das Gymnasium. „Da sieht man, dass Integration funktioniert. Fast funktioniert“, meint die Abgeordnete, denn ihre Noten reichten für’s Gymnasium, nur sie bekam trotzdem keine Gymnasialempfehlung. Eine konservative Idee, dass Migrantenkinder auf dem Gymnasium nichts zu suchen hätten. „Es war genau wie immer. Meine Elten gingen los, suchten das Gespräch und am Ende bekam ich mein Recht. Ich frage mich nur, was wird aus all den Kindern, die keine Eltern haben, die immer wieder los gehen und das Gespräch suchen?“
Dass Handan Özgüven auf dem Gymnasium richtig war, zeigte sich schnell. Sie machte ihr Abitur und wollte studieren gehen. „All die Jahre hat mein Vater mich immer unterstützt, aber als ich ausziehen wollte, hatte er Bedenken.“ Dass die Tochter aus dem Elternhaus auszieht, bevor sie verheiratet ist, ist im türkischen Kulturkreis seinerzeit schwer vorstellbar gewesen. Eine konservative Idee. „Da habe ich ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Ich habe ihm gesagt, dass ich gerne Zuhause bleibe, wenn ich in der Nähe einen Studienplatz bekomme, aber ausziehe, wenn es nur woanders klappt. Er hat sich drauf eingelassen und ich habe in Marburg einen Studienplatz bekommen.“ Özgüven lacht. „Mit 19 bin ich von Zuhause ausgezogen.“
Die junge Frau zieht nach Marburg. Sie genießt die Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Sie führt ein selbstbestimmtes Leben, feiert gemeinsam mit ihren Freunden und studiert fleißig Jura. „Natürlich wollte ich auch einen guten Abschluss machen. Schließlich habe ich mir dieses Studium hart erkämpft.“ Handan Özgüven fühlt sich wohl in Marburg. „Eine linke Stadt in der man viele Menschen trifft, die auch mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft wollen. Das hat mich richtig inspiriert.“ Sie politisiert sich und nimmt an Demonstrationen teil. Für die SPD entscheidet sie sich, als die CDU in Hessen anfängt, auf der Straße Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu sammeln. Eine konservative Idee. „Das fand ich so unfassbar falsch, da dachte ich, ich muss was tun. Da bin ich zur SPD gegangen.“
Parallel machte sie ihren Abschluss als Volljuristin und gründete ihre eigene Kanzlei. Bei der SPD macht die fleißige Bildungsaufsteigerin schnell Karriere. Sie wird in einen Vorstand gewählt, dann in die Stadtverordnetenversammlung. Später in den Kreistag. Sie bildet sich zur Fachanwältin für Familienrecht fort. „Was ich in meinem Beruf gelernt habe: Die hier geborenen Menschen ohne Migrationshintergrund haben genau die gleichen Probleme, wenn sie aus Familien mit niedrigem Einkommen stammen. Sie werden ständig ausgebremst von konservativen Ideen.“
Handan Özgüven lernt die Schicksale vieler Frauen kennen, die von ihren Männern im Stich gelassen wurden. „Die sind dann alleinerziehend und rutschen in die Armut. Sie können sich die Kitagebühren nicht leisten und die Kinder kommen nicht zusammen mit anderen im Kindergarten. Weil sie sich um das Kind kümmern, können sie weniger arbeiten und daraus folgt später Altersarmut. Und all das nur, weil die konservative Regierung keinen Mut hat, die Kinderbetreuung wirklich kostenfrei zu machen.“
Auch beim Unterhalt gibt es oft Probleme. Viele barunterhaltspflichtigen Elternteile zahlen nicht oder können nicht regelmäßig zahlen. Deshalb kämpfte Özgüven dafür, dass der Staat den betroffenen Alleinerziehenden hilft und den Unterhalt bis zur Volljährigkeit der Kinder vorschießt, um ihn dann bei den Unterhaltspflichtigen zurückzufordern. „Das ist heute Gesetz und ich bin stolz darauf, mit dafür gekämpft zu haben.“
Handan Özgüven will all denen, die heute an konservativen Vorstellungen vom Leben scheitern Hoffnung machen. „Ich bin die Stimme all dieser Leute im Parlament und es ist völlig egal, ob es Leute mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte sind.“ Die Abgeordnete hat sich eines vorgenommen: „Ich will es schaffen, dass die Konservativen nicht mehr regieren. Dann müssen weniger Eltern Rechte für ihre Kinder erkämpfen und weniger Alleinerziehende verzweifeln. Das ist alle Mühe wert.“
Handan Özgüven kandidiert für den Wahlkreis 13 Marburg-Biedenkopf II.
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