Gastbeitrag – Christel Sprössler
Als ich 2003 mein Amt antrat, war es bei uns eher unüblich, sein Kind vor dem 3. Lebensjahr in eine Krippe zu bringen. Doch die gesellschaftliche Entwicklung hat dazu geführt, dass die Betreuungsquote für die unter 3-Jährigen mittlerweile bei 50 % liegt, Tendenz steigend. Über 95 % aller 3–6-Jährigen besuchen eine Kindertagesstätte. So weit, so gut.
Wir brauchen noch mehr
qualifiziertes
Personal und größere
Unterstützung von Bund
und Ländern.
Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in 2013 hat diese Entwicklung beschleunigt und stellte uns alle vor große Herausforderungen. Wir befanden uns mitten in den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise. Viele Städte und Gemeinden waren finanziell überfordert und haben die Umsetzung geschoben. Dann musste alles ganz schnell gehen, erste Eltern haben mit Klage gedroht. Nach dieser Erfahrung wäre es besser, Rechtsansprüche schrittweise auszubauen und den Kommunen Übergangszeiträume einzuräumen.
Denn die weiterhin steigende Nachfrage und der massive Mangel an Erzieherinnen und Erziehern sorgen mancherorts für große Probleme. Wie soll da ein Ausbau des Betreuungsanspruchs zusätzlich gelingen? Antwort: gar nicht, es sei denn, wir schaffen es, die Voraussetzungen zu verbessern. Konkret heißt das: Wir brauchen noch mehr qualifiziertes Personal, dieses Problem kann nur mittelfristig gelöst werden. Hierfür müssen Arbeitsbedingungen verbessert werden. Das betrifft die Ausbildung, die Bezahlung, das Image der pädagogischen Arbeit. Fortbildung und Supervision müssen fest etabliert werden.
Auch die finanziellen Herausforderungen für Städte und Kommunen sind erheblich: Die Kinderbetreuung ist jetzt schon der größte Einzelposten im Haushalt. In den letzten 10 Jahren hat sich der kommunale Zuschuss fast verdoppelt. Die Kinderbetreuung stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar, die uns alle und jede Ebene gleichermaßen angeht. Eine größere Unterstützung durch das Land wäre also nicht nur wünschenswert, sondern muss konsequent weiter eingefordert werden. Ebenso sollte der Bund die Möglichkeit erhalten, Subventionen direkt an die kommunale Ebene durchgeben zu können.
So schaffen es viele Kommunen gerade so, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Wünschenswert wäre es allerdings, noch viel mehr in die Qualität der Kinderbetreuung zu investieren. Das heißt konkret: mehr Personal und kleinere Gruppen, ein Recht auf Inklusion, eine bunte Trägervielfalt.
Wir wissen, dass es weitere Rechtsansprüche in Zukunft geben wird (z. B. das Recht auf einen Ganztagesplatz oder erweiterte Öffnungszeiten). Um die Kommunen dabei nicht zu überfordern, ist es vor allem wichtig, dass diese vorher einem Praxistest unterzogen werden und die Entscheidungen gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort getroffen werden.

Christel Sprössler
ist Bürgermeisterin der
Gemeinde Roßdorf.
Zukunft Hessen
Ein Magazin der SPD Hessen und der SPD-Landtagsfraktion
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