Die Klare

Seit einem Jahr führt Nancy Faeser die hessische SPD als Vorsitzende des Landesverbandes und der Landtagsfraktion. Über eine Frau, die noch etwas vorhat.

Bild: Peter Jülich

Ein Porträt von Benjamin Landt
Der Hessische Landtag in Wiesbaden, das sind sieben Gebäude aus zwei Jahrhunderten, miteinander verbunden durch ein Labyrinth aus Fluren und Treppen und verglasten Fußgängerbrücken. Irgendwo in diesem Durcheinander der langen Gänge findet sich auf der 5. Etage das Eckbüro von Nancy Faeser: ein hohes Altbauzimmer, funktional eingerichtet wie die meisten Büros hier im Landtag. Ein Schreibtisch mit Laptop und viel Papier, ein Besprechungstisch mit fünf Stühlen, ein bisschen Kunst. Den Unterschied machen die Spielsachen, die in einem geflochtenen Weidenkorb lagern – die Spielsachen von Tim.

Tim ist fünf Jahre alt und Nancy Faesers Sohn. Die Spielsachen lagern im Büro seiner Mutter, weil es vorkommt, dass der Kindergarten zu hat. Weil Sommerferien sind. Oder weil – wie jetzt – das Corona-Virus die Dinge durcheinanderbringt. Dann kommt Tim mit ins Büro. Und will spielen.

Bild: Peter Jülich
„Kinderbetreuung – auch so ein Thema, das die Landesregierung schon zu normalen Zeiten nicht in den Griff bekommt“, sagt Nancy Faeser, während ihr Blick an dem Spielzeugkorb hängen bleibt. Normal, das war die Zeit vor Corona. Und schon da kämpften die SPD-Chefin und ihre Partei um wirklich gebührenfreie Kitas und Krippen, um mehr und besser bezahlte Erzieherinnen und Erzieher, um kleinere Gruppen und um mehr Geld vom Land für die Träger der Einrichtungen. „Seit die CDU den Ministerpräsidenten stellt, hat sich keine hessische Landesregierung mehr wirklich für die frühkindliche Bildung interessiert – und das sind jetzt immerhin 21 Jahre“, sagt Nancy Faeser. Und sie sagt: „Dieses Desinteresse von CDU und Grünen an Bildungsfragen, das schmerzt mich als Mutter und als Politikerin sehr.“

Politikerin ist Nancy Faeser geworden, weil sie Ungerechtigkeit schlecht ertragen kann, vor allem die ungleiche Verteilung der Chancen auf Bildung, auf beruflichen Erfolg, auf sozialen Aufstieg. Deswegen trat sie 1988, mit 18 Jahren, der SPD bei – und weil ihre Familie klassisch sozialdemokratisch geprägt ist: Ihr Großvater war einfacher Arbeiter bei der Bahn, ihr Vater war – auch ohne Studium – für die SPD 14 Jahre lang Bürgermeister von Schwalbach, der Stadt im Main-Taunus-Kreis, in der Nancy Faeser aufwuchs und in der sie heute noch wohnt. Sie war in ihrer Familie die Erste, die studieren konnte.

Die juristische Fakultät der Frankfurter Uni hat Nancy Faeser darin bestätigt, dass die Bildungschancen in Deutschland unfair verteilt sind. „In meinem Semester gab es außer mir nur noch einen Kommilitonen, bei dem nicht mindestens ein Elternteil Akademiker war. Die meisten kamen aus Juristenfamilien, was natürlich prägt und im Studium auch hilft, weil man Studienprobleme zu Hause lösen kann. Eyke und ich hatten das nicht.“

Bild: Peter Jülich

Eyke, das ist Eyke Grüning – der Kommilitone, der zum Lebensmenschen von Nancy Faeser wurde. Seit 2012 sind die beiden verheiratet, gemeinsam sind sie in Schwalbach am Taunus in der Kommunalpolitik aktiv: er als Stadtverordnetenvorsteher, sie als Vorsitzende des SPD-Ortsvereins, Stadtverordnete und Mitglied des Kreistags.

Während Eyke Grüning seit Langem als Wirtschaftsanwalt tätig ist, hat Nancy Faeser die internationale Großkanzlei, in der sie ihre Anwaltskarriere begann, verlassen und die juristische Arbeit reduziert. Im Mittelpunkt steht die Politik: 2003 zog sie das erste Mal in den Hessischen Landtag ein. Ihr Fachgebiet wurde die Innenpolitik – ein naheliegendes Thema für die Juristin Nancy Faeser. 2009 wählte die Fraktion sie zur stellvertretenden Vorsitzenden, 2014 bestimmte sie die Landespartei zusätzlich zur Generalsekretärin der SPD Hessen.

Und dann, 2019, der Schritt in die erste Reihe: Thorsten Schäfer-Gümbel, der zehn Jahre lang Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion und der hessischen SPD war, zog sich aus der Politik zurück. Als Nachfolgerin wählten Partei und Fraktion mit großer Zustimmung Nancy Faeser.

„Es hat sich so ergeben“, stellt Nancy Faeser nach einem Jahr an der Spitze der Landtagsfraktion und der Landespartei fest. „Mir geht es einfach darum, etwas zu verändern, Dinge besser zu machen. Dafür, dass mir die Partei und die Fraktion zutrauen, das auch zu schaffen, bin ich unglaublich dankbar. Hessen ist heute bei viel zu vielen Kennzahlen bestenfalls Mittelmaß – ob beim Breitbandausbau, bei der Digitalisierung der Schulen, bei der Kinderbetreuung oder bei der Ärzteversorgung auf dem Land. Die aktuelle Landesregierung lässt die wichtigsten Zukunftsthemen einfach liegen, weil CDU und Grüne offensichtlich gar nicht mehr den Ehrgeiz haben, zu gestalten – die wollen einfach nur im Amt bleiben“, sagt sie.


„Die Leute wissen,
woran sie mit
mir sind.“


In der hessischen SPD und deren Landtagsfraktion ist seit Nancy Faesers Amtsantritt das Thema Klima- und Umweltschutz auf der Prioritätenliste weiter nach oben gerückt – für die Chefin eine in jeder Hinsicht logische Entscheidung: „Der menschengemachte Klimawandel ist eine Tatsache. Und wenn wir den Generationen nach uns eine lebenswerte Erde hinterlassen wollen, dann müssen wir jetzt handeln. Und zwar entlang der Fragen: Was bringt es fürs Klima, welche Folgen hat es für unsere Gesellschaft?“, sagt Nancy Faeser.

Bild: Peter Jülich

Bis im Herbst 2023 in Hessen ein neuer Landtag gewählt wird, will die Chefin ihre Partei endgültig als Alternative zu Schwarzgrün positionieren – mit einem mehrheitsfähigen Regierungsprogramm und mit einer klaren Haltung in Sachfragen. „Kein Politiker kann es allen recht machen“, sagt Nancy Faeser, „aber ich kann dafür sorgen, dass die Leute wissen, woran sie mit mir und der hessischen SPD sind.“

Deswegen bekennt sich ihre Partei beispielsweise zur Autobahn 49 in Mittelhessen. Die Juristin und Sozialdemokratin Nancy Faeser lässt bei diesem Thema keinen Raum für Missverständnisse: „Die A 49 ist für die weitere Entwicklung von Nord-und Mittelhessen wichtig. Sie entlastet Menschen, durch deren Dörfer heute bis zu 10.000 Lastwagen am Tag rollen, von Lärm und Abgasen. Vor allem aber sind alle Argumente für und alle Einwände gegen den Bau mehrfach von Gerichten überprüft worden. Zur Demokratie gehört es, das Ergebnis einer rechtsstaatlichen Güterabwägung am Ende zu akzeptieren.“

Nein, sagt die SPD-Chefin, das habe nichts mit Basta-Politik zu tun, das sei auch kein Verrat an den Zielen des Klima- und Umweltschutzes, sondern da zeigten sich Vernunft und das Bemühen um Verlässlichkeit. Wenn es daran mangele, werde es schwierig, das friedliche Zusammenleben von sieben Millionen Hessinnen und Hessen zu organisieren. Sie sagt: „Die Stabilität und der Erfolg unseres Landes beruhen doch ganz wesentlich auf dem gelungenen Ausgleich der Interessen, also auf der Fähigkeit zum Kompromiss. Kluge Kompromisse sind ja nichts Schlechtes, sondern sie stellen sicher, dass es möglichst viele Gewinner und möglichst wenige Verlierer gibt. Das ist aus meiner Sicht ein zutiefst sozialdemokratischer Politikansatz.“

Aber manchmal, räumt Nancy Faeser ein, geht es natürlich doch ums Gewinnen. Zum Beispiel im Herbst 2023, bei der nächsten regulären Landtagswahl in Hessen. „Ich möchte, dass die SPD wieder regiert, damit wir die Zukunft Hessens gestalten können. Das ist mein Ziel als Partei- und Fraktionsvorsitzende“, sagt sie. Bisher hat Nancy Faeser ihre Ziele immer erreicht.


Zukunft Hessen

Ein Magazin der SPD Hessen und der SPD-Landtagsfraktion

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