Politik muss Grenzen setzen

SPD-Landesverband Hessen – Interview mit Michael Rudolph

Seit ungefähr 15 Jahren debattieren Visionäre und Wissenschaftler, Politiker und Philosophen, Arbeitgeber und Gewerkschaften die digitale Revolution, die unsere Welt – vor allem die Arbeitswelt – grundsätzlich verändern soll. Findet diese Revolution im Stillen statt?

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt fundamental und sie ist für alle Beschäftigten deutlich spürbar. Die meisten von ihnen arbeiten schon mit digitalen Technologien, aber der Stand der Digitalisierung ist in den einzelnen Betrieben noch sehr unterschiedlich. Gerade während der Corona-Krise haben mobiles Arbeiten, Homeoffice und Videokonferenzen stark zugenommen. Dadurch hat sich der Prozess natürlich beschleunigt. Aber die Landesregierung nimmt die Folgen für die Beschäftigten immer noch nicht ausreichend in den Blick. Aktuell wird die Digitalstrategie des Landes Hessen lediglich fortgeschrieben. Wichtig wäre, dass Aus-, Fort-und Weiterbildung ausgeweitet werden. Der Bildungssektor muss technologisch auf den neuesten Stand gebracht werden. Außerdem setzen wir uns für mehr Mitbestimmung, eine Stärkung der Betriebs- und Personalräte sowie mehr Tarifbindung ein.


Foto: DGB, Martin Sehmisch

Michael Rudolph
ist Vorsitzender des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen. Im Interview spricht er darüber, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert, warum neue Technologien die Möglichkeit bieten, die Arbeitswelt zu verbessern, und wie die Beschäftigten vor negativen Auswirkungen des technologischen Wandels geschützt werden können.


Hat das, was bisher an digitaler Innovation stattgefunden hat, die Welt für die Beschäftigten besser gemacht?

Die neuen Technologien bieten die Möglichkeit, die Arbeitswelt zu verbessern. Eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass viele Beschäftigte auch nach der Corona-Krise gerne häufiger von Hause aus arbeiten würden. Das liegt vor allem daran, dass Homeoffice die Chance bietet, Familie und Beruf besser miteinander zu vereinbaren. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen. Der DGB-Index Gute Arbeit 2019 hat aufgezeigt, dass über die Hälfte der Beschäftigten eine Arbeitsintensivierung wahrnehmen. Ein Drittel erlebt sogar in hohem oder sehr hohem Maße eine Arbeitsverdichtung. Das hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Vor allem psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Deshalb muss es klare Regeln für Homeoffice und mobiles Arbeiten geben.

Wie können wir verhindern, dass „Digitalisierung“ zu einem Synonym für „Entgrenzung des Arbeitens“ wird? Also: Wie real ist die Gefahr, dass aus der Möglichkeit, an jedem Ort und zu jeder Zeit arbeiten zu können, ein Zwang wird, immer und überall zu arbeiten?

Um die Beschäftigten zu schützen, muss die Politik Grenzen setzen. Das gilt vor allem im Bereich Arbeitszeit, aber auch im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Eine Aufweichung des Achtstundentags, kürzere Erholungspausen und Ruhezeiten – wie sie von Arbeitgeberseite gefordert werden – lehnen wir strikt ab. Wir erwarten außerdem, dass die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung in allen Betrieben durchgeführt wird. Dabei müssen psychische Belastungen miteinbezogen werden. Es ist aber auch mehr Personal in den Arbeitsschutzbehörden notwendig, damit diese ihre Aufsichtsfunktion wahrnehmen können. Außerdem setzen wir uns für eine Anti-Stress-Verordnung ein. Letztlich braucht es aus unserer Sicht Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum Homeoffice und mobilen Arbeiten, um einer Entgrenzung entgegenzuwirken.

Corona hat gezeigt, wie viel mobiles Arbeiten möglich und machbar ist. Hubertus Heil und die SPD wollen vor diesem Hintergrund ein Recht auf Homeoffice schaffen. Gute Idee?

Der von Hubertus Heil geplante Rechtsanspruch auf Homeoffice ist grundsätzlich eine gute Idee. Wir finden vor allem die geplanten Möglichkeiten für die Tarifvertrags-und Betriebsparteien, für die Beschäftigten weitergehende Vereinbarungen treffen zu können, positiv. Auch das beabsichtigte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei der Einführung und Ausgestaltung mobiler Arbeit begrüßen wir ausdrücklich. Das ist aus unserer Sicht unabdingbar. Entscheidend ist aber, dass die Einführung mobiler Arbeit auf Freiwilligkeit beruht. Nur dadurch kann gewährleistet werden, dass die neuen Technologien im Sinne der Beschäftigten genutzt werden. Klar ist aber auch, dass Diskussionen über das Arbeiten von Hause aus komplett an der Realität eines Altenpflegers oder einer Straßenbahnfahrerin vorbeigehen. Doch auch diese Beschäftigten sind enormen Belastungen ausgesetzt und auch sie wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das werden wir als Gewerkschaften nicht aus dem Blick verlieren.

Nach unserem Eindruck ist es in vielen Bereichen der Digitalwirtschaft unter den Beschäftigten eher uncool, sich betrieblich und gewerkschaftlich zu organisieren. Täuschen wir uns?

Durch die Digitalisierung entstehen viele neue digitale Geschäftsmodelle und flexibilisierte Arbeitsformen. Dazu gehören z. B. Crowdworking und Plattformarbeit, die überwiegend durch prekäre Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind. Von Arbeitgeberseite wird häufig versucht eine Organisation der Beschäftigten zu verhindern, um Löhne zu drücken und soziale Standards zu unterlaufen. Für die Beschäftigten ist es schwieriger, ihre Interessen durchzusetzen, weil sie sich digital vernetzen müssen. Wir setzen uns dafür ein, dass der rechtliche Status der Plattformbeschäftigten geklärt wird. Hierbei geht es insbesondere um die Frage, ob diese als Selbstständige arbeiten. Die Rechte der Plattformbeschäftigten müssen gestärkt werden. Außerdem ist natürlich mehr sozialer Schutz notwendig.


Zukunft Hessen

Ein Magazin der SPD Hessen und der SPD-Landtagsfraktion

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