Ein Interview – Mit Heiner Heiland
Die Fragen stellte Isabel Kunkel.
Die Plattformarbeit findet sich in immer mehr Arbeitsbranchen und weitet sich zunehmend aus. Was bedeutet das und welche Veränderungen ergeben sich daraus für die Arbeitswelt?
Das bedeutet leider vor allem eine Ausweitung von prekärer Beschäftigung, denn Plattformarbeit ist in den allermeisten Fällen eine sehr schlecht bezahlte, niedrigschwellige und zeitlich befristete Arbeit. Damit setzt sich ein Trend fort: Die großen Errungenschaften der Arbeiterbewegung wie Arbeitsschutz und soziale Absicherung werden schon seit mehreren Jahren in Mitleidenschaft gezogen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse verbreiten sich.
Sie haben sich das näher angeschaut und dafür selbst bei Plattformen angeheuert. Das heißt, Sie sind bei Wind und Wetter mit dem Rad unterwegs gewesen, um Essen auszuliefern?
Ja, denn es ist immer etwas anderes, wenn man die Möglichkeit hat, Erkenntnisse aus erster Hand zu gewinnen. Ich war dafür in sieben unterschiedlichen deutschen Städten über zehn Monate als Essenslieferant unterwegs. Dadurch konnte ich selber ausprobieren, wie die Apps, die wir selbst zum Bestellen so oft benutzen, funktionieren und wie damit organisierte Arbeit abläuft.
Damit waren bestimmt auch viele Erwartungen verbunden …
Für mich war die Frage zentral, wie so ein Arbeitsprozess funktioniert, der vollkommen digital organisiert ist – das nennt man übrigens algorithmisches Management. Eine meiner Thesen war, dass die Möglichkeit, eigenständig zu handeln, deutlich kleiner wird. Eine weitere, dass die Arbeitenden gar nicht mehr miteinander reden, weil sie ihre Arbeit nur allein ausführen. Das stimmt beides nicht ganz. Die Rider, also die Fahrradkuriere, kommunizieren sogar sehr viel miteinander – weil sie sich in den gleichen Restaurants immer wieder über den Weg laufen und beispielsweise Chatgruppen gründen, über die in einigen Städten auch Betriebsräte gegründet wurden. Meiner Erfahrung nach führt algorithmisches Management also dazu, dass man weniger Spielräume hat, aber nicht dazu, dass man gar keine mehr hat. Am Ende kommt es immer auf den Menschen an, der die Anweisungen eines Algorithmus umsetzen soll, diese aber auch hinterfragen kann.
Haben diese Erfahrungen Ihre Sicht auf die digitalisierte Arbeitswelt verändert?
Digitalisierung kann niemals vollumfänglich alles steuern und kontrollieren. Es gibt so viel Erfahrungswissen, auch in anderen Arbeitsbereichen wie der Industrie, das sich durch digitale Methoden, Maschinen oder Roboter nicht ersetzen lässt. Digitalisierung und digitale Technik sind damit immer auf den Menschen angewiesen.
Und was macht der Einsatz der digitalen Techniken mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?
Die Auswirkungen von gleichzeitig digitalisierter und oft prekärer Arbeit sind natürlich nicht bei allen Personen gleich. Entscheidend ist meistens, wie angewiesen die Beschäftigten auf diese Art der Arbeit sind. Der junge Student beispielsweise, der auch noch andere Optionen zum Jobben hätte, empfindet die Situation ganz anders als der Familienvater, der auf soziale Absicherung und Krankenversicherung angewiesen ist. Gerade im Bereich der Essensauslieferung gibt es zunehmend eine Klientel, die an diesen Job gebunden ist, denn die Arbeit ist sehr niedrigschwellig und setzt kaum Qualifikationen voraus.
Ist es denn für die Arbeitnehmer ein Thema, digital durch eine App gesteuert zu werden?
Das und die dadurch vermutete Kontrolle sind große Themen. Dabei muss man aber wissen, dass die Algorithmen oft gar nicht so schlau sind, wie viele annehmen, und sie auch gar nicht so viele Aspekte, wie beispielsweise die Geschwindigkeit, mit der man fährt, berücksichtigen. Aber das wird nicht kommuniziert und die meisten Rider fahren deshalb aufgrund eines vorauseilenden Gehorsams schneller. Es braucht also gar nicht die direkte digitale Kontrolle, es braucht nur die Erwartung, dass man kontrolliert wird, um einen immensen Druck auf die Arbeitnehmenden aufzubauen. Das spielt natürlich in die Hände der Plattformbetreiber.
Die SPD fordert unter anderem, dass die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen. Digitalisierung dürfe nicht mit Ausbeutung verwechselt und die Rechte von Beschäftigten müssten gestärkt werden. Gibt es Ihrer Erfahrung nach denn ganz generelle Erwartungen an mögliche Regulierungen?
Das ist ein schwieriges Thema, denn die Gruppe der Rider ist sehr heterogen und dementsprechend sind es auch ihre Erwartungen an den Job. Da kommt oft nicht das raus, was man selbst erwarten oder sich erhoffen würde. Viele nehmen die Arbeit einfach so hin, wie sie ist, oder wollen sich auch gar nicht damit auseinandersetzen. Teilweise sicherlich auch aus Sorge, wie es dann mit dem Job weitergeht.
Und was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?
Es braucht vor allem mehr soziale Absicherung und mehr Arbeits- und Gesundheitsschutz. Aber gerade diese Dinge sind im Bereich der Plattformökonomie sehr schwer umzusetzen, weil Plattformen oft nur vermittelnd tätig sind und damit nicht unter das Betriebsverfassungsgesetz fallen. Sie sind deshalb oft gar nicht als Arbeitgeber ansprechbar. Und wenn sie es doch sind und sich beispielsweise ein Betriebsrat gründen möchte, lässt man Angestelltenverträge einfach auslaufen. Ab diesem Zeitpunkt arbeitet die Plattform dann mit Selbstständigen weiter. Dadurch kann sich keine Mitbestimmungsstruktur bilden und Regulierungen zum Schutz der Arbeitnehmer werden unterwandert. Hier muss man ansetzen.
Zukunft Hessen
Ein Magazin der SPD Hessen und der SPD-Landtagsfraktion
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