Vertrauen in die Zukunft

Nancy Faeser und Christiane Benner im Gespräch

Die Fragen stellte Christoph Gehring.

Seit über einem Jahr sind wir im Corona-Ausnahmemodus. Ist die Virus-Krise, die wir derzeit erleben, tatsächlich ein Innovationstreiber – oder wird sie sich am Ende als Jobkiller erweisen?

CB: Wir haben durch die Krise schon einen Digitalisierungsschub erfahren. Wir sehen, dass beispielsweise in den Betrieben der Metallindustrie über die Hälfte der Beschäftigten ganz oder überwiegend im Homeoffice arbeitet. Weil wir dafür gute Regelungen in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen getroffen haben, mussten Unternehmen und Betriebsräte nicht erst überlegen, wie man das digitale Arbeiten gestaltet. Ein großer Teil der Unternehmen – und damit der Beschäftigten – ist auch dank Kurzarbeit bisher verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Wirklich Sorgen mache ich mir um die junge Generation: Die Schülerinnen und Schüler leiden unter dem unregelmäßigen Unterricht und darunter, dass die Digitalisierung des Lernens so lange und so sehr vernachlässigt worden ist. Und die Lage am Ausbildungsmarkt, das Fehlen von Ausbildungsstellen, das besorgt mich sehr.

NF: In bestimmten Branchen – in der Gastronomie, der Hotellerie, im Veranstaltungssektor – sind die staatlichen Hilfen nicht schnell und nicht zielgenau genug angekommen. Besonders hart getroffen hat die Corona-Krise die Soloselbstständigen, weil die lange von den staatlichen Hilfen ausgeschlossen waren mit dem Argument, sie hätten ja auch nicht in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt. Dabei wurde über viele Jahre nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert, dass vor allem Berufseinsteiger in vielen Branchen ihre Arbeit als Soloselbstständige organisiert haben. Die kann man jetzt nicht im Regen stehen lassen. Die aktuelle Lage ist ein Auftrag, Freiberufler und Selbstständige besser in die Systeme der sozialen Absicherung einzubinden – und zwar ohne dabei innovative Ideen und unternehmerische Kreativität auszubremsen.

Sprechen wir über die Großunternehmen im Land: Manche davon nehmen einerseits staatliche Corona-Hilfen an und bauen andererseits massiv Arbeitsplätze ab.
Werden da im Windschatten der Pandemie frühere Managementfehler zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kompensiert?

NF: Nach meinem Eindruck gibt es tatsächlich Unternehmen – darunter auch solche mit weltweitem Renommee –, die Corona als Vorwand benutzen, um Rationalisierungen durchzuziehen, die in normalen Zeiten nicht vermittelbar wären. Die hessische SPD macht in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften öffentlich Druck gegen solche Vorhaben. Und ich bin sehr dafür, die Gesetzgebung so zu gestalten, dass staatliche Hilfen – vom Kurzarbeitergeld bis zu direkten Finanzhilfen – nicht am Ende als Dividenden bei den Aktionären der Großkonzerne landen.

CB: Ich kann das bestätigen. Nehmen wir als Beispiel mal die Automobilindustrie und ihre Zulieferer: Die Branche ist ohnehin in einem enormen Umbruch hin zur Elektromobilität, und dann kam Corona dazu. Die Pandemie hat kurzfristig tatsächlich zu Absatz- und Umsatzeinbrüchen geführt, aber trotzdem haben die meisten Betriebe fast durchgehend normal gearbeitet. Strukturbereinigungen in der Krise sind deswegen nicht legitim. Die technologische Transformation schaffe ich doch nicht mit dem Abbau von Arbeitsplätzen, sondern nur mit der Zukunftsqualifizierung der Beschäftigten. Die Instrumente, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord zu halten, sind da – und ich erwarte, dass sie von den Unternehmen auch genutzt werden.

Stichwort Umqualifizierung – wie weit kann die wirken? Oder anders gefragt: Was lässt die Digitalisierung, vom autonomen Roboter bis zur Künstlichen Intelligenz, noch an Jobs für echte Menschen übrig?

CB: Ich glaube nicht, dass der Jobabbau ein Automatismus der Digitalisierung ist. Zum einen sind manche Bereiche schlichtweg nicht digitalisierbar. Und zum anderen wird das menschliche Erfahrungswissen einer Künstlichen Intelligenz immer überlegen sein, sobald kreative Lösungen für Probleme gebraucht werden. Gut ausgebildete Fachkräfte bleiben unverzichtbar – deswegen müssen wir eine gute Ausbildung und eine lebenslange Weiterbildung möglich machen. Ich denke, die Digitalisierung ist dann für alle eine Chance, wenn sie durch eine weitreichende betriebliche Mitbestimmung, durch unternehmerische Kreativität und durch einen klug gesetzten Rechtsrahmen gestaltet wird.

Gewerkschaften und Sozialdemokratie hatten immer das gemeinsame Ziel, aus technologischem Fortschritt sozialen Fortschritt zu machen. Wie geht das im Zeitalter der Digitalisierung?

NF: Es ist unstreitig, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt insgesamt verändert – aber das muss ja nicht zwangsläufig eine Veränderung zum Schlechteren sein. Die Chance des technologischen Fortschritts ist ja, dass er nicht nur neue, sondern auch bessere Arbeitsplätze schaffen kann. Und dafür wollen wir sorgen – mit einem entsprechenden Gesetzesrahmen, mit guten Möglichkeiten für die Aus- und Fortbildung, mit einer umfassenden Mitbestimmung in den Betrieben und mit Mut zur Zukunft.

Was braucht es, um Arbeitsplätze, die neu entstehen könnten, auch wirklich entstehen zu lassen, statt nur Rationalisierungspotenziale zu heben?

CB: Die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen. Mitbestimmte Unternehmen sind nachweislich innovativer und erfolgreicher. Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland alle Zutaten haben, um wirklich gute Arbeitsplätze zu schaffen. Ganz zentral ist da die vorausschauende Qualifizierung, die schon greift, bevor bestimmte Veränderungen sie erzwingen. Und das Bemühen, Prozesse evolutionär, nicht disruptiv zu gestalten. Am Ende müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Zukunftsbild haben, das sie gemeinsam erreichen wollen.

Wie sieht eigentlich eine Arbeitsgesetzgebung aus, die dem digitalen Zeitalter gerecht wird?

NF: Nicht nur die Qualifizierung der Beschäftigten, auch die Gesetzgebung für den Arbeitsmarkt muss vorausschauender sein und flexibler. Ein gutes Beispiel ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, das unter anderem die Mitbestimmung für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz mit all ihren Möglichkeiten, die noch lange nicht ausgeschöpft sind, regelt.

CB: Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein Anfang. Das Betriebsverfassungsgesetz beispielsweise muss runderneuert werden, denn es stammt aus dem Jahr 1972 und berücksichtigt faktisch nichts von dem, was wir heute als Zukunftstechnologien betrachten. Entscheidend ist bei allen künftigen Arbeitsgesetzen, dass die Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit die Werte in unserem Land schaffen, gestärkt und geschützt werden.

NF: Mir ist wichtig, dass wir einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber herstellen, wie gute Arbeit zukunftssicher gestaltet werden kann. Denn nur wenn wir das schaffen, bleibt Deutschland ein starker Industriestandort mit einer guten Perspektive. Dazu müssen wir das Vertrauen in unsere eigene Zukunftsfähigkeit stärken. Das ist sicherlich keine leichte Aufgabe angesichts der rasanten Veränderungen, die wir gerade erleben. Aber gemeinsam bekommen wir das hin.

 


Zukunft Hessen

Ein Magazin der SPD Hessen und der SPD-Landtagsfraktion

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